Wie „Stranger Things“ Marken und Musik zu neuen Erfolgen verhilft

Florian Rinke30.5.2022

Die Netflix-Serie begeistert weltweit Millionen Zuschauer:innen. Nun ist die vierte Staffel erschienen

Ein Blick in die aktuelle vierte Staffel: Finn Wolfhard spielt wieder Mike Wheeler, Millie Bobby Brown ist erneut als Eleven dabei und Noah Schnapp als Will Byers (von links). Foto: Netflix
Ein Blick in die aktuelle vierte Staffel: Finn Wolfhard spielt wieder Mike Wheeler, Millie Bobby Brown ist erneut als Eleven dabei und Noah Schnapp als Will Byers (von links). Foto: Netflix

Die Serie „Stranger Things“ gehört zu den erfolgreichsten Eigenproduktionen des Streaming-Riesen Netflix. Schon bei den ersten drei Staffeln haben Marken wie Coca Cola, Burger King und Co. auf den Erfolg der Serie gesetzt. Der aktuelle Start der vierten Staffel bringt nun unter anderem auch Pizzen, die sich per Gedanken bestellen lassen. Doch reicht der Marketing-Hype um die Serie aus, um ein grundlegendes Problem von Netflix zu lösen?

Von „Stranger Things“ hörte der britische Sänger Limahl 2019 das erste Mal, als seine Neffen ihn aufgeregt anriefen: „Sie nutzen deinen Song in der neuen Staffel.“ Die größten Erfolge des Sängers, der gebürtig Christopher Hamill heißt, lagen da schon mehr als 30 Jahre zurück. Für Schlagzeilen sorgte Limahl damals eher mit Auftritten in der britischen Variante der TV-Show „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“. Der einstige Teenie-Schwarm war Teil des Dschungelcamps. Dann kam die dritte Staffel von „Stranger Things“. Limahls Lied „Never Ending Story“ spielt darin eine prominente Rolle. Und plötzlich konnte der Sänger in Echtzeit erleben, was es heißt, Teil der heutigen Popkultur zu sein: Die Zahl der Streams seines Songs stieg um 150.000 pro Tage und erreichte schließlich 1,5 Millionen im Monat. „Ich habe zweifellos gut daran verdient“, sagte der Künstler damals in einem Interview mit der „Sun“. 

Die Serie „Stranger Things“ ist aktuell wohl die bekannteste und erfolgreichste Eigenproduktion des Streaming-Riesen Netflix. Die Geschichte über ein Mädchen mit übernatürlichen Fähigkeiten und einer Gruppe Jugendlicher, die in der fiktiven Kleinstadt Hawkins gegen Monster kämpfen, ist weltweit zum Hit geworden. Den Start der dritten Staffel sahen laut Netflix innerhalb der ersten vier Tage rund 40,7 Millionen Haushalte – ein Rekord. Und auch nach dem Start der aktuellen vierten Staffel am Freitag haben Millionen Fans weltweit entgegengefiebert, nachdem sie sich in den Wochen davor die Wartezeit mit älteren Folgen vertrieben haben: Der erste Teil der Serie schaffte es unlängst wieder in die wöchentliche Top 10 der meistgesehenen Netflix-Serien.

Top 10 der Netflix-Serien vom 16. bis 22. Mai. Foto: Netflix

Top 10 der Netflix-Serien vom 16. bis 22. Mai. Foto: Netflix

„Stranger Things“ kommt für Netflix gerade richtig

Der Start der vierten Staffel kommt für Netflix gerade richtig. Denn der Streaming-Riese kämpft aktuell mit massiven Problemen. Nach Jahren des Wachstums ging die Zahl der Abonnent:innen im ersten Quartal 2022 erstmals in der Firmengeschichte leicht zurück. Zwar ist Netflix mit mehr als 220 Millionen Abonnent:innen immer noch der größte Streaming-Anbieter der Welt. Und 2021 machte das Unternehmen zwar knapp 30 Milliarden Dollar Umsatz und knapp 5 Milliarden Dollar Gewinn. Doch die Konkurrenz durch Disney, Apple, Amazon und Co. bekommt der Platzhirsch immer mehr zu spüren. Allein in diesem Quartal rechnet Netflix mit zwei Millionen Kunden weniger. Der Aktienkurs ist in den vergangenen Monaten regelrecht eingebrochen. Im Januar lag er noch bei umgerechnet rund 530 Euro, inzwischen notiert das Papier bei knapp 190 Euro.

Netflix sucht daher krampfhaft nach Lösungen, um das Geschäft wieder anzukurbeln. Firmenchef Reed Hastings kündigte öffentlich sogar schon eine werbefinanzierte vergünstigte Variante des Abos an – bislang ein Sakrileg im Netflix-Universum. Entlastung muss daher langfristig auch das Merchandising-Geschäft bringen. Netflix hat mit dem Ausbau in den vergangenen Jahren begonnen. Doch noch spielen die Umsätze, die etwa durch die Vergabe von Lizenzen für Merchandising-Produkte oder Live-Formaten erzielt werden, kaum eine Rolle. Die Einnahmen stammen zum Großteil aus den Streaming-Abos.

Disney macht vor, wie man Geschichten zu Geld machen kann

Ausgerechnet der Disney-Konzern macht vor, wie man rund um filmische Vorlagen wie „Star Wars“ oder die Marvel-Helden Geschäfte aufbaut, auch Zeichentrick-Heldinnen wie „Die Eiskönigin“ sorgen für Millioneneinnahmen. Allein „Star Wars“ soll bis 2012 für weltweite Merchandising-Umsätze von rund 20 Milliarden US-Dollar gesorgt haben. Seitdem dürften zahlreiche weitere Milliarden dazugekommen sein .Und auch aus den Harry-Potter-Büchern wurden erst Filme und dann Fanartikel und Themenparks. Von solchen Erfolgen ist Netflix noch meilenweit entfernt. Zu „Stranger Things“ gibt es aktuell lediglich drei Escape-Rooms in New York, San Francisco und London.

Dennoch gibt es rund um die Serie eine Menge Werberummel. In der Vergangenheit haben bereits Marken wie Coca Cola, Nike oder Lego damit geworben bzw. spezielle Produkt-Editionen anlässlich der Serie auf den Markt gebracht (darauf sind wir auch bereits im vergangenen Jahr in der „State of the German Internet“-Keynote eingegangen). Der Streaming-Dienst Spotify implementierte zum Start der zweiten Staffel sogar kurzzeitig einen Stranger-Things-Modus. Der Bildschirm verwandelte sich in die Anmutung der Serie, wenn man Lieder des Soundtracks abspielte. Die Macher hatten nämlich ähnlich wie Sänger Limahl einige Zeit später gesehen, wie viel Einfluss die Netflix-Serie auf das eigene Geschäft haben kann: Nach dem Start der ersten Staffel im Juli 2016 stiegen die Abrufzahlen des Songs „Should I stay or should I go“ von The Clash, der in der Serie prominent vorkommt, um 30 Prozent (mit dem Netflix-Effekt haben wir uns hier bereits eingehender beschäftigt).

In der dritten Staffel von „Stranger Things“ tauchten 100 Marken auf

Das Brand-Tracking-Unternehmen Concave hat ausgerechnet, dass in der 2019 erschienenen dritten Staffel von „Stranger Things“ insgesamt 100 Marken zu sehen sind. Dies entspräche einem Werbegegenwert bei Produktplatzierungen von mindestens rund 15 Millionen US-Dollar. Am häufigsten sollen die Getränke-Marke Coca Cola (Werbewert 1,5 Millionen US-Dollar) und die Auto-Marke Cadillac (954.000 US-Dollar) zu sehen gewesen sein. Andere Unternehmen versuchten eher indirekt die Geschichte der Serie für sich zu nutzen.

So wie Microsoft, dessen Betriebssystem Windows 1985 erschien, dem Jahr in dem die dritte Staffel der Serie angesiedelt war. Der Software-Hersteller plante rund um den Start der Serie verschiedene Marketing-Aktionen, die anschließend auch für Schlagzeilen auf einschlägigen Tech-Seiten sorgten. Der Jeans-Hersteller Levi’s notierte sogar leicht erhöhte Absatzzahlen, nachdem die Hosen in der dritten Staffel von den Darstellern getragen wurden

Bei Domino’s kann man Pizza per „Gedankenübertragung“ bestellen

Zum Start der aktuellen Staffel von „Stranger Things“ sorgte wiederum Domino’s in den USA für Aufsehen. Die Pizza-Kette kooperiert mit Netflix und hat eine eigens entwickelte App auf den Markt gebracht, bei der die Pizza in Anlehnung an die telekinetischen Fähigkeiten von Serien-Star Elfie per „Gedankenübertragung“ bestellt werden kann. Dafür nutzt die App verschiedene Funktionen wie Augen- und Gesichtserkennung. Der Nutzer bestellt also in Wahrheit nicht per Gedankenübertragung, sondern indem er die App mit Bewegungen bedient. Der Werbeeffekt ist trotzdem da. Mit der Uhrenmarke Timex hat Netflix wiederum eine eigene Kollektion zur Serie herausgebracht, mit der Kosmetikmarke MAC eine Schmink-Kollektion und über den eigenen Shop vertreibt der Streamingdienst darüber hinaus diverse Kleidungsstücke und Co.

In den kommenden Wochen dürfte noch sichtbarer werden, welche Marken dieses Mal vom „Stranger Things“ Effekt profitieren oder gezielt darauf setzen, im Fahrwasser der Serie Geschäfte zu machen. Die Nachfolgerin von Sänger Limahl steht unterdessen bereits fest. In der ersten Folge der neuen Staffel ist Kate Bush mit ihrem Song „Running up that hill“ zu hören. In den globalen Spotify-Charts hat es der Song am Sonntag mit rund 2,8 Millionen Streams bereits unter die Top 15 geschafft.  

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Florian Rinke
Autor*In
Florian Rinke

Florian Rinke ist Host des Podcast "OMR Rabbit Hole" und verantwortet in der OMR-Redaktion den "OMR Podcast". Vor seinem Wechsel Anfang 2022 zu OMR berichtete er mehr als sieben Jahre lang für die Rheinische Post über Start-ups und Digitalpolitik und baute die Rubrik „RP-Gründerzeit“ auf. 2020 erschien sein Buch „Silicon Rheinland".

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