Digitalstars machen für Geld andere schlecht: Kommt jetzt negatives Influencer Marketing?

In den USA und Australien ist die Praxis angeblich schon Realität

puke

Influencer lassen sich von Unternehmen dafür bezahlen, dass sie die Produkte der Wettbewerber ihrer Auftraggeber öffentlich schlechtmachen. Diese Anschuldigung erheben mindestens zwei Vertreter aus der internationalen Beautyblogger-Szene und haben damit eine kontroverse Diskussion losgetreten. OMR dokumentiert die Diskussion, wirft einen Blick hinter die Kulissen und hat deutsche Experten gefragt, ob sie Erfahrungen mit dem Phänomen haben. Für den Preis von 75.000 bis 85.000 US-Dollar sei ein renommierter Beauty-Influencer dazu bereit, ein Video mit einer gezielten negativen Rezension des Produktes zu produzieren. Das zumindest behauptet Kevin James Bennett in einem Instagram-Post vom 28. August.

 

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I'd like to thank @marlenastell for having the courage to publish a YouTube video exposing what's going on behind the scenes in the cosmetic industry. I've attempted to shed light on the mobster-like behavior of top-level beauty influencers and their management… and I've been accused of jealousy, called a liar and hater. FACT: A brand I consulted with asked me to inquire about working with a top-level beauty influencer. The influencer's management offered me these options: 1) $25K – product mention in a multi-branded product review. 2) $50K-$60K – dedicated product review (price determined by length of video). 3) $75K-$85K – dedicated negative review of a competitor's product (price determined by length of video). 4) A minimum 10% affiliate link or code to use on IG and YT. Yes, option #3 is legit – payment to damage the competition's business. I told you it was mob-like behavior. The demands and threats of "influencers" and their management have GOT TO STOP. The lack of disclosure by top-level influencers is FRAUD and it's time for the Federal Trade Commission (FTC) to step in, start charging fines and shut this bullsh*t down. To the followers/subs who STILL refuse to believe their idols are thugs – pull your head out of your favorite beauty influencer's ass and SEE what's actually going on in this industry. #beautyinfluencers #fraud #FTC #makeup #makeupeducation

A post shared by Kevin James Bennett (@kjbennettbeauty) on Aug 28, 2018 at 5:25am PDT

„Dieser Bullshit muss aufhören“

Bennett ist Visagist und nach eigener Darstellung seit mehr als 30 Jahren in der Branche tätig. Anfang der Nuller Jahre hat er zwei Mal gemeinsam mit anderen den US-Fernsehpreis Emmy in der Kategorie Makeup gewonnen. Man kann ihn für Werbeauftritte buchen; er tritt als Speaker auf Veranstaltungen und im Fernsehen als Beauty-Experte auf. Mit 40.000 Followern bei Instagram, 12.000 Fans bei Facebook (wo er auch eine Gruppe mit 37.000 Mitgliedern betreibt) und 23.000 Followern bei Twitter ist Bennett auf Social Media im Vergleich zu anderen Namen der Szene eher ein kleines Licht. Über Influencer äußerte sich Bennett in der Vergangenheit schon häufiger kritisch, weil diese Werbung nicht immer als solche kennzeichnen.

Nun habe ihn ein Kosmetikunternehmen, das er berate, gebeten, bei hochrangigen Beauty-Influencern die Konditionen für eine Zusammenarbeit anzufragen, wie er im Text zu seinem Instagram-Post erklärt. In diesem Zusammenhang sei ihm auch das geschilderte Angebot unterbreitet worden. Er habe schon zuvor versucht, über das mafiöse Verhalten von hochrangigen Beauty-Influencern sowie deren Managements aufzuklären und sei der Eifersucht bezichtigt und als Lügner und Hater bezeichnet worden. „Es ist an der Zeit, dass die Handelsaufsicht einschreitet, Bußgelder verteilt und diesem Bullshit ein Ende macht“, so Bennett.

„Influencer unterstützen die Szene nur noch gegen Geld“

Mit seinem Instagram-Post hatte Bennett auf ein Video der US-Beauty-Youtuberin Marlena Stell reagiert, in dem diese über die Entwicklung der „Beauty Community“ spricht. Stell, die unter dem Namen „Makeup Geek“ eigene Kosmetikprodukte vertreibt, kritisiert darin unter anderem die Anspruchshaltung von Beauty Influencern sowie die Preis-Entwicklung im Influencer Marketing. So würden einige Influencer andere Vertreter der „Community“ nur unterstützen, wenn diese sie dafür bezahlten – und zwar Summen ab 60.000 US-Dollar aufwärts.

US-Beauty-Bloggerin Aprill Coleman alias „Hey Aprill“ (auf Facebook 418.000 Fans, auf Instagram 22.000 Follower, auf Twitter 18.400 Follower) veröffentlichte auf Twitter einen Screenshot von Bennetts Instagram-Post, versehen mit dem Text: „Euer liebster Beauty-Influencer bekommt 75.000 US-Dollar für eine negative Rezension einer Konkurrenzmarke.“ Colemans Tweet erhielt enorme Resonanz und verzeichnet bis dato 124 Antworten, 1.900 Retweets und 5.700 Likes.

Your favorite beauty influencer gets paid $75k for a negative review of a competitor brand. pic.twitter.com/gDVPDYYDuh

— This is a PCA Skin stan account (@HeyAprill) August 28, 2018

Die US-Beauty-Blogger-Szene in Aufruhr

Unter dem Tweet entwickelte sich in Folge eine heiße Diskussion: Viele Influencer geben darin an, noch nie von solch einer Praxis gehört zu haben. Beauty-Youtuberin Chloe Morello schreibt: „Das ist vermutlich nicht wahr. Dieser Typ hasst Influencer.“ Noch deutlicher wird Beauty-Influencer James Charles, der auf Twitter 1,5 Millionen Follower verzeichnet: „Ich habe noch NIE davon gehört, dass es so etwas gibt“, schreibt Charles, und deutet zwischen den Zeilen an, dass er glaubt, Bennett habe die Geschichte erfunden.

I’ve NEVER heard of this happening and believe what you want, but most of us DO disclose sponsorships. I can’t wait to talk about people like the man who posted this in a video very soon. ? https://t.co/Ig2g7axRUu

— James Charles (@jamescharles) August 29, 2018

Das wiederum rief die australische Beauty-Youtuberin „Pretty Pastel Please“ (knapp neun Millionen Views und 189.000 Abonnenten auf Youtube sowie 53.000 Follower auf Instagram) auf den Plan. In einem knapp 40-minütigen (!) Video äußert sie sich äußerst detailliert über gängige Praktiken im Influencer Marketing. Sie habe in der Medienbranche und im Marketing von Unternehmen gearbeitet (nachprüfbar sind diese Aussagen jedoch nicht, da die Youtuberin auf ihren Social-Media-Accounts nicht ihren wirklichen Namen nennt). Ihr Fazit: „Was Bennett behauptet, stimmt zu 100 Prozent.“

Der Streit artet zur Schlammschlacht aus

Dabei existiert das Phänomen des „Negativ Influencer Marketings“ nach ihrer Darstellung auch in abgeschwächter Form. So lese sie auf Digitalplattformen, auf denen Unternehmen Influencer-Kampagnen ausschreiben und teilnehmende Influencer suchen, immer wieder im Briefing, dass die Advertiser mehr bezahlen, wenn die Influencer ihr Produkt mit dem des jeweiligen Mitbewerbers vergleichen und ihres besser darstellen.

Im Kommentarbereich des Videos erwächst aus dem Branchengeplänkel endgültig eine Schlammschlacht. Dort streiten sich James Charles und Kevin Bennett miteinander und bezichtigen sich gegenseitig der Lüge.

Auch im SEO-Bereich gibt es schon eine Negativ-Variante

Welche Aussagen nun stimmen, lässt sich von außen nicht nachvollziehen. Sollte es so etwas wie negatives Influencer Marketing wirklich geben, wäre es zumindest nicht das erste Mal, dass ein Marketingkanal ins Negative verkehrt wird, um Mitbewerbern zu schaden. Vor etwa fünf Jahren soll der deutsche Zigarren-Shop Noblego Opfer von Negativ SEO geworden sein: Fremde sollen damals günstig Backlinks für den Shop gekauft haben, damit Noblego im Google-Ranking abstürzt.

Welche enormen Auswirkungen Negativ-PR durch Influencer auf Unternehmen haben kann, hat erst im Februar dieses Jahres Snap zu spüren bekommen: Nach einem kritischen Tweet von Mega-Influencerin Kylie Jenner („Geht es Euch eigentlich auch so, dass Ihr Snapchat gar nicht mehr öffnet?“) sank der Börsenkurs des Unternehmens zeitweise um 6,1 Prozent, wodurch Snap in diesem Zeitraum 1,3 Milliarden US-Dollar an Wert verlor.

„Möglicherweise ist die USA Vorreiter für Deutschland“

OMR hat mehrere Vertreter der deutschen Influencer-Marketing-Branche um ihre Einschätzung gebeten. Der Tenor war einhellig: „Ich habe noch nie von diesem Phänomen gehört, in Deutschland gibt es das bisher nicht.“ Auch Ann-Katrin Schmitz, Mitgründerin von Novalanalove, äußert sich ähnlich: „Wenn es das gäbe, hätte ich das mitbekommen.“ Doch das müsse nicht so bleiben: „Die USA ist Deutschland im Influencer Marketing ja um einiges Voraus. Ich halte es nicht für unrealistisch, dass solche Praktiken auch hierher kommen.“

Influencer Marketing
Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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