So geht Hip-Hop-Marketing heute: Wie Mero in vier Tagen sechs Millionen Views generierte

Wir erklären die Mechanismen hinter dem Erfolg von "Baller los"

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Enes Meral, alias "Mero" (Quelle: mero_428 auf Instagram)

Ein bislang nahezu unbekannter 18-jähriger Rapper generiert quasi aus dem Nichts mit seinem ersten Track in knapp vier Tagen 5,9 Millionen Views auf Youtube und 4,2 Millionen Streams auf Spotify. Basiert der Erfolg von Enes Meral, alias „Mero“, und seinem Track „Baller los“ alleine auf Talent, oder kommt eine gute Portion cleveres Marketing hinzu? OMR zeigt anhand des jüngsten Phänomens, mit welchen Methoden im Hip Hop heute offenbar systematisch Erfolge generiert werden.

Wer Hip-Hop-affin ist und den gängigen Blogs des Genres folgt, kommt aktuell um Mero wohl nicht herum. Bereits 18 Stunden nach Erscheinen seines ersten Tracks schrieb der eher boulevardeske Blog Raptastisch von einem „Newcomer Rekord“. Da hatte „Baller los“ bereits eine Million Views angesammelt und zwischenzeitlichen den ersten Platz der deutschen Youtube Trends erklommen . In dieselbe Kerbe haute wenig später auch die „HipHop-Bild“ Rapupdate (hier im OMR-Porträt), die mittlerweile in DeinUpdate umfirmiert hat: „Mero ist offiziell Rekord Rapper!“, vermeldete das Magazin am späten Samstagabend per Push-Nachricht an die Nutzer seiner App. Mit 3,6 Millionen Views 46 Stunden nach Veröffentlichung des Videos habe Mero unter Deutschrap-Newcomern einen Rekord aufgestellt.

Reaction Videos sammeln mehr als eine Million Views

„Wer ist nur dieser Mero?“, rätselte Rap.de, ein wenig seriöser, gemeinsam mit den Lesern. Viel sei über den Rüsselsheimer bislang nicht bekannt – „das könnte sich jedoch bald ändern.“ Die Besucher der Startseite von HipHop.de werden aktuell gar von einem großflächigen Werbebanner für Meros erste Single begrüßt. In der Online-Meldung zum Release des Videos heißt es auf der Seite: „Talent als Rapper und Musiker kann man dem Jungen nicht absprechen.“ Am Montagabend spekulierte dann DeinUpdate sogar, ob Mero als erster deutscher Rapper mit seinem allerersten Song den Platz eins der Single Charts erreichen könnte, und das „Nicht-Hip-Hop-Medium“ Watson stieg in die Berichterstattung ein.

Auf Youtube selbst hatte der Erfolg von „Baller los“ da ebenfalls bereits hohe Wellen geschlagen. Innerhalb kürzester Zeit waren mehrere Kanalbetreiber auf den Zug aufgesprungen und hatten diverse Bewertungs– und Reaktionsvideos erstellt, um sich ihr Stück vom Aufmerksamkeitskuchen zu sichern. Auch die haben mittlerweile in Summe ebenfalls über eine Million Views ansammeln können. Den Rummel rund um den Newcomer-Rapper hat das nur weiter vergrößert.

Mit einem Track in die Liga von Capital Bra vorgedrungen?

Youtube-Experte Christoph Burseg von Veescore bewertet Meros Erfolg gegenüber OMR als „auf jeden Fall bemerkenswert. Die Superlative lasse ich aber noch im Rucksack.“ Bislang würde es Rappern (noch?) nicht gelingen, auf Youtube so viel Views zu erzielen wie Kinderlieder. Mit knapp zehn Millionen Views innerhalb der vergangenen sieben Tage liege aktuell denn auch ein Kinderlied-Video des Kanals „Finger Family World“ aktuell noch weit vor Mero. „Aber natürlich ist Mero da schon ein wirklich fulminanter Auftakt mit vielen Interaktionen gelungen.“ Die Zahl der Reaction-Videos sei ebenfalls sehr hoch – „wenn auch Capital Bra und andere ähnliche Effekte erzielen“.

Mit Capital Bra vergleicht Burseg Mero immerhin gleich mit der aktuell obersten Liga des deutschen Raps – zumindest in puncto Reichweite und Erfolg. Der Deutschrusse, seit Sommer bei Bushidos Label „Ersguterjunge“ unter Vertrag, zieht aktuell im deutschen Hip Hop wohl die meiste Aufmerksamkeit auf sich. Nun ist Mero offenbar der beachtliche Erfolg gelungen, mit nur einem offizell veröffentlichten Track in die Sphären Capital Bras vorzudringen. Diese Vermutung legt auch ein Blick in Google Trends nahe. Demnach wurde innerhalb der vergangenen vier Tage häufiger nach Mero gesucht als nach Capital Bra oder auch Bushido.

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Erstes Following mit Handy-Videos auf Instagram

Wie konnte das einem 18-Jährigen aus dem Stand gelingen? In den ersten Medienberichten über ihn ist die Rede von Handy-Videos, die Mero auf Instagram gepostet, und damit eine enorme Reichweite aufgebaut habe. In „Baller los“ rappt er selbst Genre-adäquat: „Ich hab‘ schon alles nur durch Handyvideos gef***t, Mann! Ihr habt lang genug gewartet, aber jetzt bin ich da und ich werd‘ alles auseinandernehm’n!“

In der Tat hat Mero auf seinem Instagram-Profil diverse Videos gepostet, in denen er live zur Musik aus der Konserve rappt. Bis heute hat er damit ein beachtliches Publikum von 490.000 Follower aufbauen können. Der erste seiner dort geposteten Handy-Clips stammt bereits aus dem Juni 2017. Zwischen 250.000 und 350.000 Aufrufen verzeichnen Meros erste Instagram-Videos bis heute (wobei Instagram einen Aufruf relativ großzügig bereits nach drei Sekunden zählt).

Teenie-Fans posten Geschichten von fiktiven Liebesabenteuern

In den Monaten darauf sind sowohl seine Follower- als auch die Abrufzahlen gestiegen. Als Mero im April dieses Jahres in einem Video 40.000 Abonnenten vermeldet, generiert der Clip erstmals über eine Million Views. Ein Video aus dem vergangenen September, in dem er in einem Auto sitzend offenbar einen fertig aufgenommenen eigenen Track kurz anspielt, hat bislang sogar 2,2 Millionen Views angesammelt.

Zumindest auf lokaler Ebene scheint Mero so infolgedessen eine Prominenz aufgebaut zu haben, die teilweise schon kuriose Blüten treibt. So lassen sich auf Instagram Fan-Accounts finden, auf denen beispielsweise Videos zu sehen sind, die den jungen Rapper aus einem Auto heraus gefilmt beim Frisörbesuch zeigen und fast 52.000 Aufrufe verzeichnen. Auf der Teenie-Literatur-Seite Wattpad hat ein vermutlich junger weiblicher Fan unter dem Namen „MerosGirl“ eine fiktive Geschichte gepostet, in der sie fantasiert, wie sie ihr Idol kennenlernt.

„Musik machen könnt Ihr selbst – wir pushen Euch über Social Media!“

Doch ist es dem jungen Rapper wirklich alleine und ungeplant gelungen, einen solchen Bekanntheitsstatus zu erlangen? Diverse Indizien sprechen dafür, dass der Erfolg nicht allein auf Meros Talent zurückzuführen ist. Steht dahinter eine von langer Hand geplante Marketing-Kampagne? Immer wieder wurde Mero zuletzt mit dem deutschen Gangster-Rapper Xatar und dessen Label „Alles oder nix“-Records (AON) in Verbindung gebracht. Nicht nur, dass Xatar im Video zu „Baller los“ zu sehen ist. Aktuell bewerben sowohl er (534.000 Instagram-Follower) als auch der von Xatar zuletzt verpflichteter Künstler Eno (866.000 Abonnenten auf Instagram) vorab Meros erstes Album. Das soll Anfang März erscheinen. Titel: „Ya Hero Ya Mero“angeblich sinngemäß „Alles oder nichts“ auf Kurdisch.

Dass Xatar und sein Team offensichtlich wissen, dass Promotion über Youtube, Instagram und Co. zum einen den mittlerweile vielleicht wichtigsten Beitrag eines Labels zur Wertschöpfung einer Künstlerkarriere darstellt, und zum anderen auch fähig sind, diesen Beitrag zu leisten, zeigt die Neugründung des AON-Unter-Labels „Push Music“ vor etwa einem Jahr. „Künstler können ihre Videos, Artworks und Aufnahmen heute selbst machen – und das sogar sehr gut“, so Xatar in einem Video zum Launch. Mit Push wolle er deswegen alleine bereits fertige Tracks und Videos über die eigenen Social-Media-Kanäle („400.000 Abonnenten!“) pushen. Wenn diese 100.000 Klicks verzeichnen, bekommt der Künstler einen offiziellen Release und erhält 70 Prozent der Einnahmen.

Der „Sound auf dem Hof“ bekommt 160.000 Views

Ob Mero nun wirklich einer der ersten Künstler bei Push ist, oder ob seine Musik doch regulär bei AON erscheint, ist derzeit nicht bekannt. Auf den gängigen Plattformen wird Groove Attack als Meros Label aufgeführt. Das Kölner Label agiert auch als Vertrieb von AON. Sicher ist aber in jedem Fall, dass Xatar und sein Protegé Eno, der auf Social Media eine noch größere Follower-Zahl verzeichnet, Mero innerhalb der vergangenen Monate immer wieder zu Aufmerksamkeit verholfen haben.

Bereits im Frühjahr des vergangenen Jahres hat Eno offensichtlich einen kurzen mit dem Handy aufgenommenen Clip von sich gemeinsam mit Mero geteilt. Auf Enos Instagram-Profil ist dieser Post nicht mehr auffindbar – vermutlich ist er gelöscht, stammt der älteste Post dort doch aus dem Juni 2017. Auf Youtube lässt sich das Kurzvideo jedoch noch mehrfach finden. Die älteste Version datiert auf den 4. Mai 2017, findet sich im Youtube-Kanal „Rapvideos“ und verzeichnet mittlerweile mehr als 100.000 Views. Ein weiterer Upload, wenige Tage älter, hat immerhin noch 60.000 Views angesammelt.

Konzertabbruch wegen zu hohem Andrang? – Beste Promo!

Auch aus den folgenden Monaten lassen sich weitere, offenbar ältere Handy-Videos von Mero auf Youtube finden. Ein Clip, in dem er in einem Elektro-Markt zur Musik aus einem Bluetooth-Lautsprecher rappt, verzeichnet bis heute beispielsweise 260.000 Views. Hinzu kommen diverse Uploads von seinen Instagram-Videos in Youtube-Kanälen, deren Betreiber nicht ersichtlich sind – etwa der Channel „Mero 428 Support„, der bislang 3,3 Millionen Views verzeichnet. Der anonyme Kanalbetreiber postet zwar auch Videos anderer Rüsselsheimer Rapper aus Meros Umfeld – die bekommen jedoch deutlich weniger Views.

Ob die diversen Uploads von Mero-Clips bei Youtube einfach von begeisterten Fans stammen, oder ob hinter zumindest einigen der Uploads eine steuernde Hand steckt, ist von außen nicht nachvollziehbar. Belegt ist in jedem Fall, dass Eno im Mai dieses Jahres ein kostenloses Konzert in seiner Heimatstadt Wiesbaden gab – und dass Mero dort ebenfalls auftrat. Enos im Dezember erscheinendes Album wird „Wellritzstraße“ heißen – und in eben jener trat er vor einem Burger-Laden auf. Das Konzert ist innerhalb kürzester Zeit wegen des zu großen Andrangs von der Polizei abgebrochen worden. Aus Marketingsicht hätte wohl kaum etwas besseres passieren können.

So generiert man mit Content-Schnipseln eine Sogwirkung

Durch die zumindest regional enorme Publicity für das Event dürfte Mero einem noch größeren Publikum bekannt geworden sein. Darüber hinaus dürften Xatar und Eno auch über das Konzert innerhalb ihrer Instagram Stories berichtet haben und dabei Meros Instagram-Account vertaggt haben. Einige der Filmchen lassen sich noch auf Youtube finden:

Offensichtlich ist es Mero und seinen Unterstützern mittels des permanente Streuens von Content in Form von Handy-Videos und Track-Schnipseln über Social Media gelungen, eine Sogwirkung aufzubauen. Diese Strategie ist im Hip Hop mittlerweile Standard geworden. Zu ihren Pionieren gehört Selfmade-Records-Macher Elvir Omerbegovic, der schon auf der Bühne des OMR Festivals und im OMR Podcast davon berichtet hat. Vermutlich hat Mero der maximal semiprofessionelle Charakter seiner Handy-Videos, die zumindest dem Augenschein nach von begeisterten Fans hochgeladen werden, dabei geholfen, sich in der Szene erst einmal einen Namen als Geheimtipp zu machen.

Wie man einen Track über Wochen hinweg inszeniert

In den vergangenen Wochen haben der Rapper und sein Management den Druck dann noch einmal verstärkt: Am 9. November kündigt Mero auf Instagram an, dass am 23. November seine erste Single erscheint. Fünf Tage später verkündet er, seinen eigenen Youtube-Kanal eingerichtet zu haben. Dort veröffentlicht er am 20. November einen Trailer zur Single. Früher haben Musiker komplette Alben einmal angekündigt und dann einfach veröffentlicht – heute wird nahezu jeder einzelne Track inszeniert.

Die gesamte so angestaute Spannung und das aufgebaute Aufmerksamkeitspotenzial entladen sich dann am 22. November eine Minute vor Mitternacht – mit dem Release von „Baller los“ und den beschrieben Folgen. Sicherlich spielen mehrere Faktoren für den Erfolg eine Rolle: Meros Talent und seine beeindruckende Geschwindigkeit als Rapper. Die in der Form wohl bisher noch nicht dagewesene Verknüpfung von Double-Time-Raps mit Gesangsteilen, die an traditionelle kurdische oder arabische Musik erinnern. Die offensichtlich starke Community in seiner Heimatstadt, die wohl seinen Aufrufen folgen dürfte, „zu streamen was das Zeug hält“, um die Zahlen weiter nach oben zu treiben.

Ein Funnel wie aus dem Lehrbuch

Aber ohne die ausgefeilte Content-Strategie und das clevere Marketing wäre der Erfolg von „Baller los“ möglicherweise trotzdem deutlich kleiner ausgefallen. Rückblickend wirkt es, als hätten die Strippenzieher im Hintergrund bewusst einen ganz klassischen „Funnel“ (Verkaufstrichter, hier ein OMR Briefing zum Thema) wie aus dem Marketing-Lehrbuch gebaut. Über Features auf den Social-Media-Profilen des bereits etablierten Künstlers Eno wurde erstmals „Attention“ generiert. Die wurde dann mittels der Handy-Videos auf Meros eigenem Instagram-Profil in „Interest“ umgewandelt. Ereignisse wie das Konzert, so wie jene Instagram-Clips, in denen erstmals eigene Tracks von Mero ausschnittweise zu hören waren, erzeugten dann Begehrlichkeit und „Desire“. Somit war es am Ende offenbar ein Leichtes, „Action“ zu erzeugen und das aufgebaute Publikum dazu zu bringen, den ersten Track immer wieder zu streamen und den Youtube-Kanal zu abonnieren.

Mero und sein Management dürften noch ein wenig Arbeit vor sich haben, wenn sie die Aufmerksamkeit bis zum Erscheinen seines Albums hoch halten wollen. „Nach meinen Zahlen sinken die täglichen Abrufe schon wieder. Der erste Tag war der erfolgreichste“, sagt Veescore-Macher Christoph Burseg. „Nicht unbedingt ein Zeichen dafür, dass ‚Baller los‘ der Song des Jahres wird.“

Der Trick mit den Premiumboxen

Reichlich Potenzial für weitere Aufmerksamkeit ist immerhin vorhanden. Mit dem 19-jährigen „Sero el Mero“ ist zuletzt auf Youtube ein weiterer Jung-Rapper mit einem sehr ähnlichen Namen bekannt geworden. Das bietet für Mero das Potenzial für aufmerksamkeitsstarke „Battles“ darüber, wer der bessere und erfolgreichere von beiden ist. In den Youtube-Kommentaren formieren sich bereits #teammero und #teamsero. Auch Xatar wurde mit Sero schon Verbindung gebracht und hat eines von dessen Youtube-Videos in seinen Instagram Stories geteilt.

Und um die Wahrscheinlichkeit einer hohen Chart-Platzierung seines Albums zu erhöhen, greifen Mero und sein Label zu einem Trick, der mittlerweile im Hip-Hop-Marketing Standard geworden ist: Sie veröffentlichen das Werk auch als Premiumbox, die bereits jetzt vorbestellbar ist. Nicht nur, dass solche Boxen zusätzliches Marketing-Potenzial beispielsweise in Form von Unboxing-Videos bieten. In Deutschland werden die Chart-Platzierungen abhängig vom Umsatz berechnet. Der Verkauf einer Premium-Box, deren Preis in der Regel zwischen 40 und 60 Euro liegt, ist damit für einen Künstler drei- bis viermal so viel Wert wie der einer CD. Und für die Platzierung nach der ersten Woche des Erscheinens werden zudem auch alle Vorbestellungen berücksichtigt.

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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