New-Work-Unicorn Loom: Darum tauchen auf einmal überall diese neuartigen Erklärvideos auf

Wie das Startup ohne bezahltes Marketing mehr als zehn Millionen Nutzer gewonnen hat

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Den eigenen Bildschirm abfilmen, während man selbst dazu Erklärungen abgibt und möglicherweise gewisse Elemente besonders hervorhebt: So funktioniert Loom.

Auf einmal tauchten sie überall auf: Videos, in denen in einer kleinen runden Blase eine Person zu sehen ist, die das erklärt, was sich gerade auf ihrem (bildschirmfüllend) abgefilmten Desktop tut. Mit Loom erstellte Clips haben während der Corona-Pandemie einen enormen Popularitätsschub und massive Verbreitung erfahren. Das Unternehmen hinter der Software selbst soll mittlerweile mehr als eine Milliarde US-Dollar wert sein. Neben Ashton Kutcher sowie den Instagram-Gründern sind an Loom mittlerweile auch die renommiertesten VC-Firmen der USA beteiligt. Wir erklären, woher der Erfolg kommt und mit welchen Hebeln das Startup ohne Marketingbudget einen riesigen Nutzerstamm aufgebaut hat.

Es ist ein Klassiker unter den Startup-Legenden: Vor dem wirklichen Durchbruch steht der Pivot. Auch die Gründer von Loom haben, als sie im Jahr 2015 loslaufen, eigentlich einen anderen Weg im Blick als jenen, auf dem sie später Erfolg finden. Mit Opentest wollten sie ein Tool etablieren, mit dem Unternehmen systematisch Usability-Tests durchführen und qualitatives Feedback einholen können. Die Firmen mussten dafür nur einen Code-Schnipsel in ihre Website einbauen, wie Mitgründer Shahed Khan gegenüber der US-Website BAMF erklärte. Bei den Website-Besuchern ploppte dann ein Dialogfenster auf, in dem sie gefragt wurden, ob sie an einem Nutzertest teilnehmen wollen. Doch so richtig hebt das Modell nie ab – auch weil Firmen nicht dauerhaft und regelmäßig solche Tests durchführen. „Es gab keine Monetarisierungsstrategie“, so Khan.

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Heute nutzen 14 Millionen Menschen Loom

Was jedoch funktioniert, ist die Browser-Erweiterung, mit der die Test-Teilnehmenden ihren Bildschirm aufnehmen konnten. Diese bildet die Basis für ein Unternehmen, das heute laut Bloomberg 1,53 Milliarden US-Dollar wert ist. Mehr als 200 Millionen US-Dollar Funding sollen die Macher von Loom (wie das Startup heute heißt) laut Crunchbase bislang eingesammelt haben. Die letzte Funding-Runde (Series C) im Mai 2021 soll sich auf 130 Millionen US-Dollar belaufen haben und wurde von Andreessen Horowitz angeführt. In den vorherigen Runden hatten mit Kleiner Perkins, Sequoia und Coatue schon der Rest der Crème de la Crème der US-VC-Szene in Loom investiert. Dazu kommen Business Angels und Branchenpromis wie Ashton Kutcher, die Instagram-Gründer Kevin Systrom und Mike Krieger, Jay Simons von Atlassian und Dylan Field von Figma.

Mit Loom können Nutzende im Grunde Videobotschaften für den Arbeitsalltag aufnehmen und damit unnötige, zeitraubende Meetings vermeiden. Sie filmen einfach ihren Bildschirm ab, sind dabei selbst in einer kleinen Bubble sichtbar und können auf persönliche und unkomplizierte Weise etwas erklären, wofür sie sonst einen zähen Conference Call hätten durchführen oder lange Emails verschicken müssen. Mehr als 14 Millionen Menschen in 200.000 Firmen nutzen nach Unternehmensangaben mittlerweile Loom, darunter prominente Tech-Größen wie Twitter, Netflix, Hubspot und Atlassian.

Kreditkarte ausgereizt und kurz vorm Ende

Sicherlich hat auch Loom enormen Rückenwind durch Corona erfahren und von dem dadurch entstandenen Remote-Working-Trend profitiert. Aber schon vor Corona hat das Gründerteam geschickt immer wieder neue Hebel identifiziert, um das eigene Wachstum anzukurbeln. Mitgründer Shahed Khan (der laut seinem Linkedin-Profil das operative Geschäft mittlerweile verlassen hat und nur noch als Advisor für Loom tätig ist) hat diese in gleich zwei ausführlichen und lesenswerten Twitter-Threads erläutert.

Die Initialzündung erfuhr Loom (damals noch unter dem Namen Opentest) auf der Plattform Producthunt, wo User neue Produkte vorstellen und entdecken können. Diese „Hier könnt Ihr jeden Tag über die heißesten Tech-Produkte abstimmen“-Community (hier ein OMR Porträt aus dem Jahr 2015) hat sich in der Tech- und Software-as-a-Service-Szene als Standard-Launchpad etabliert. Die Gründer von Loom versuchen im Jahr 2016 dort über Openvid, die Auskopplung ihres Browser-Recording-Tools, Traffic für ihre Testing-Plattform zu generieren, wie Mitgründer Vinay Hiremath später gegenüber Forbes berichtet. Eine letzte Himmelfahrtsaktion, denn die Limits ihrer Kreditkarten seien zu diesem Zeitpunkt bereits ausgereizt gewesen.

Schritt 1: Via Producthunt mit einem Knall starten

Der Launch von Openvid auf Producthunt ist ein Erfolg. Das Gründerteam hat zuvor mit Tests an „echten Menschen“ die schlimmsten Usability-Probleme ausgemerzt und ist am Tag selbst auf Producthunt sowie auf Twitter aktiv und antwortet auf Fragen und Feature-Wünsche. Sie erhalten fast 1.700 Upvotes und werden zum Produkt des Tages und später zum viertbesten Produkt des Monates gewählt. Die Schilderung von CTO Vinay Hiremath, wie das Team den Launch auf Producthunt vorbereitet hat, wird später von Producthunt selbst noch einmal veröffentlicht.

Openvid konnte auf Producthunt mehr als 1.600 Upvotes einsammeln (Quelle)

Sie gewinnen mehrere Tausend Nutzer für ihr Produkt, die ihnen zum Teil die Augen für ganz neue Use Cases eröffnen. Danach sei dem Team ein Licht aufgegangen, so Hiremath in einem Video bei Forbes. Das Tool, das anfänglich nur als Growth Hack für Opentest gedacht gewesen war, könnte eine neue Art der Kommunikation eröffnen. „Danach ist es explodiert“, so Shahed Khan. Im Januar 2017 vollzieht das Team ein Rebranding hin zum Namen Loom.

Schritt 2: Mit Freemium den Haken auswerfen

Das Team setzt auf das im Software-Bereich etablierte Freemium-Modell. Dabei ist ein Produkt in der ersten Zeit oder in einer einfachen Version kostenlos nutzbar – für die Vollversion müssen die Nutzer:innen zahlen. „Wir haben das Tool kostenlos gelassen, um die Leute für die Idee Videos aufzunehmen zu begeistern. Damit es ihnen in dem Moment, in dem wir eine Paywall einziehen, leichter fällt, Geld dafür auszugeben“, so Shahed Khan.

Noch heute hebt der zentrale Call-to-Action auf der Loom Homepage darauf ab, dass das Tool kostenlos ist (bearbeiteter Screenshot von Loom.com)

Ein zentrales Feld für den Einsatz von Loom ist offenbar die Zusammenarbeit mit Freelancern. So sei die größte Traffic-Quelle von Loom der (mit Fiverr vergleichbare) Freelancer-Marktplatz Upwork, wie Khan erklärt. Vermutlich weil Website- und Online-Shop-Betreiber anhand ihrer Website genau erklären, welches Feature oder welches Design-Element sie brauchen, oder auch weil Freelancer gegenüber Kunden damit ihre Arbeit erklären.

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Schritt 3: „Product Led Growth“ forcieren

Weil die Nutzer:innen Loom dafür verwenden, anderen etwas zu erklären, sie die aufgenommenen Videos dafür an andere weiterschicken und so automatisch dem Produkt neue Nutzer:innen zuführen, verfügt Loom über eine „inhärente Viralität“. In der Tech- und Software-Szene hat sich dafür der Ausdruck „Product Led Growth“ etabliert (wir hatten bereits im Zusammenhang mit Figma darüber geschrieben). Das bedeutet: Loom kann sich besonders schnell innerhalb von Unternehmen verbreiten. „Wir haben bis heute keinen Cent für Marketing ausgegeben und wachsen schneller als je zuvor“, so CEO und Mitgründer Joe Thomas im September 2020.

Das Loom-Team sorgt durch die Ausgestaltung des Produkts dafür, dass jede:r, der oder die mit dem Tool in Berührung gerät, in die Produktwelt hineingezogen wird. Wer ein Loom-Video aufnimmt, bekommt danach einen Loom.com-Link, den er verschicken und das Video abrufen kann – und so vielleicht zum ersten Mal den Namen des Produkts wahrnimmt. Um diese noch zu steigern, brandet das Team die Videos mit einem Wasserzeichen. Dann erweitern sie jedes mit Loom erstellte Video um eine Reihe weiterer Videos mit Call-to-Action, die die Empfänger:innen selbst zu aktiven Nutzer:innen konvertiert.

Schritt 4: Gamification mittels Checklist

Um neue Nutzer:innen dazu zu bringen, das Produkt im vollen Funktionsumfang zu nutzen und im Idealfall auch weiterzuempfehlen, erweitern das Team den bereits ausgefeilten Onboarding-Prozess um eine Checkliste. Die soll die User:innen u.a. dazu bringen, ihre E-Mail-Adresse zu bestätigen, das erste Loom-Video aufzunehmen, ein Loom zu teilen, Browser-Push-Nachrichten zuzulassen, etc.

„Was haben wir gelernt? Die Menschen lieben es, Checklisten abzuarbeiten“, schreibt Shahed Khan auf Twitter. Die Loom-Macher hätten viel experimentiert, u.a. mit der Reihenfolge der Aufgaben auf der Liste und mit dem Einblenden einer Prozentzahl, um das Optimum herauszuholen. Die Checkliste soll dazu beigetragen haben, die Zahl der Nutzer von 25.000 auf 100.000 auszubauen. Noch heute ist sie Teil des Onboardings.

So sieht die Checkliste für neue Nutzer:innen von Loom heute aus (Screenshot Loom.com, zur Hervorhebung bearbeitet von OMR)

Schritt 5: Hürden abbauen

Darüber hinaus versuchen die Loom-Macher Hürden, die der Nutzung des Produktes im Wege stehen könnten, so gut als möglich abzubauen. Die Nutzer:innen müssen sich anmelden, bevor sie Loom nutzen können? Die Integration von Googles OAuth-Standard ermöglicht an dieser Stelle, dass Inhaber:innen eines Google-Kontos nur noch eine Schaltfläche drücken und nicht mehr umständlich Formulare ausfüllen müssen. Der Schritt habe für eine dramatische Zunahme an Neuanmeldungen gesorgt, so Khan.

Zu einem späteren Zeitpunkt kontaktiert das Loom-Team außerdem das Management-Team von Slack – weil Loom-Videos außer über Mail vor allem über Slack geteilt werden. Die Loom-Macher bieten Slack offenbar eine Beteiligung dafür an, dass sie eine so genannte „Unfurl Experience“ kreieren. Mit der können Loom-Videos seitdem direkt innerhalb von Slack abgespielt und nicht nochmal in einem Extra-Browser-Fenster geöffnet werden. Slack willigt ein. Vor wenigen Tagen hat Loom die Integration noch einen Schritt weiter getrieben: Nun können die Nutzer:innen auch direkt aus Slack heraus Loom-Videos aufnehmen.

Schritt 6: Referral Programm als Brandbeschleuniger

Um dem viralen Wachstum den finalen Push zu geben, führt das Loom-Team schon früh ein Referral-Programm ein – auf den Vorschlag von Growth Hacker Hiten Shah (u.a. Gründer von Crazy Egg und Kissmetrics) hin, der seid der Seed-Runde als Business Angel an Loom beteiligt ist. Referral Programme sind im Marketing ein bewährter Growth Hack, der schon Firmen wie Paypal und Dropbox dabei geholfen hat, einen großen Nutzer:innenstamm aufzubauen.

Während die Nutzer:innen von Dropbox zusätzlichen Speicherplatz erhielten, wenn sich über ihren Referral-Link neue Nutzer:innen anmeldeten, können die Loom-User:innen zusätzliche Funktionen freischalten, wie beispielsweise eine unbegrenzte Aufnahmedauer. Wenn ihnen das gelungen ist, erhalten sie Credits für jeden neuen User. Die Maßnahme facht auch die Weiterempfehlung des Tools außerhalb des Programms an, so Shahed Khan: „Es gab einen gigantischen Word-of-Mouth-Effekt. Die Menschen haben auf die Seite verwiesen, statt den Referral-Link zu nutzen.“ Angeblich soll das Programm entscheidend dazu beigetragen haben, die Zahl der Nutzer zu verdreifachen – von 100.000 auf 300.000. Mittlerweile ist das Referral-Programm allerdings eingestellt – offenbar schon seit Anfang 2018, wie ein Tweet zeigt.

900 Prozent Wachstum während der Corona-Krise

In der Corona-Pandemie dürfte es für Loom sowieso nicht mehr notwendig gewesen sein, Nutzer für Weiterempfehlungen zu belohnen – durch den Push hin zu Arbeit im Home Office dürften diese automatisch generiert worden sein. Im März 2020 hebt das Team als Reaktion auf Corona trotzdem das Zeitlimit für nichtzahlende Nutzer auf. Außerdem senkt es den Preis für das Pro-Produkt und verlängert die kostenlose Testphase. In den zwölf Monaten bis zum Februar 2021 soll Loom 900 Prozent Wachstum verzeichnet haben, so Andreessen Horowitz. Obwohl es für nichtzahlende Nutzende kein Zeitlimit gibt, soll der Umsatz im selben Zeitraum sogar um 1.100 Prozent gestiegen sein.

Looms aktuelle Pricing-Struktur (Oktober 2021)

Looms „Corona-Förderung“ ist mittlerweile ausgelaufen. Für Schüler:innen, Student:innen und Lehrende ist Loom jedoch nach einer Überprüfung nach wie vor kostenlos verfügbar.Sonstige nichtzahlende Nutzende können heute nur noch Videos bis fünf Minuten Länge aufnehmen. Darüber hinaus gibt es Preis- und Funktionspakete, mit denen sich die Loom-Macher an Unternehmen wenden. Im Mai 2020 führte das Startup mit „Loom for Teams“ einen „Shared Workspace“ für Unternehmen ein, in dem alle bisherigen Videos archiviert und anderen Mitarbeitern zur Verfügung gestellt werden können, um zu vermeiden, dass für wiederkehrende Themen immer wieder neue Videos erstellt werden. Die Enterprise-Lösung will unter anderem mit „Advanced content privacy“ punkten – also der Sicherheit, dass keine externen Nutzer:innen auf möglicherweise sensible interne Videos klicken können.

Mit „Loom for Teams“ können Teams nun innerhalb des Tools eigene Workspaces einrichten und dort bereits aufgenommene Videos beispielsweise unternehmensintern zugänglich machen

Loom-Videos funktionieren auch im Marketing

Auch die Use Cases von Loom sind augenscheinlich vielfältiger geworden. Mittlerweile verwenden die Nutzer:innen das Tool nicht mehr nur, um Erklärvideos oder Vorträge aufzuzeichnen – auch im Marketing haben sich Loom-Videos als Creatives etabliert. Das Team von OMR Education nutzt diese beispielsweise, um OMR Reports auf Facebook und Instagram zu bewerben. „Wir haben mit Loom Videos eigentlich durch die Bank positive Ergebnisse im Vergleich zu anderen Video Ads erzielt“, sagt Kollege Christoph Mühle aus dem OMR Education Team. „Die Ads fliegen eher unter dem Radar, ziehen wegen des neuen Formats Blicke auf sich und Nutzer stoppen beim Scrollen durch ihre Feeds – trotzdem haben sie wegen des kleinen Speaker-Images am unteren Rand eine persönliche Komponente.“

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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