Kaufmich.com: So funktioniert Online Marketing für Prostitution

(Foto: Ralf Dix / CC BY-SA 3.0)

Wie drei Brüder aus Bielefeld von China aus ein Imperium aus Erwachsenen-Communitys errichtet haben

(Foto: Ralf Dix / CC BY-SA 3.0)

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Die Macher von Kaufmich.com wollen das älteste Gewerbe der Welt digitalisieren. Über die Plattform können Prostituierte für ihre Dienste werben und mit potenziellen Freiern in Verbindung treten. Für unsere Artikelserie „Explicit Marketing Tactics“ haben wir mit Produktmanager Benjamin Visser darüber gesprochen, wie man User gewinnt, wenn Branchengrößen wie Google und Facebook die Bewerbung des eigenen Produktes nicht erlauben, und wie man Geld mit einer Plattform für Prostituierte verdient, ohne den Strafbestand der Zuhälterei zu erfüllen. Nebenbei haben wir von der erstaunlichen Geschichte der drei Gründer erfahren.

Die Startseite von Kaufmich.com

Die Startseite von Kaufmich.com

„Prostitution hat oft ein schmuddeliges Image”, sagt Visser. „Wir wollen das Thema aus dieser Ecke herausholen und es den Sexarbeitern mit unserer Plattform ermöglichen, sich zu bewerben und mit ihren Kunden zu kommunizieren.“ 650.000 aktive Nutzer sollen mittlerweile angeblich bei Kaufmich.com angemeldet sein, darunter 75.000 Prostitutierte sowie 4.000 Bordelle, Strip-, Swinger-Clubs und andere Firmen aus der Branche. „Jeden Tag kommen 1.000 neue Nutzer dazu. Wir verzeichnen täglich um die 850.000 Page Impressions und 170.000 Visits, die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Mitglieder beträgt 14 Minuten.“

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Der Weg zu diesen beachtlichen Zahlen war lang. Die Anfänge des Betreiberunternehmens Ideawise liegen eigentlich schon im Jahr 2004: Die Brüder David und Julius, zu diesem Zeitpunkt beide Anfang 20, haben schon erste Erfahrungen mit dem Geldverdienen im Internet gesammelt: Sie kaufen Keyword-Domains wie Konzert.de und Hotelsuche.de und verdienen mit der Weiterleitung der Besucher an andere Plattformen. „Wir haben den Wert von Type-in-Traffic erkannt“, so Julius in einem Interview mit dem OMReport aus dem Jahr 2008. Auch heute noch gehört ihnen die Domain Seo.de.

Überleben von zwei Euro pro Tag

Nachdem ihr jüngster Bruder Robert das Abitur in der Tasche hat, wollen die Dreyers im Sommer 2004 zu dritt eine Weltreise unternehmen. Doch der erste Anlaufpunkt Shanghai soll für viele Jahre auch ihre letzte Station sein. Denn zu dieser Zeit wächst Poppen.de, eine weitere Keyword-Domain, die sich die Brüder schon vor ihrer Reise gesichert hatten, offenbar so schnell, dass sie beschließen, den Traffic nicht mehr weiterzuleiten, sondern diesen selbst zu monetarisieren. Während die Brüder selbst in einer Jugendherberge wohnen und von jeweils zwei Euro pro Tag leben, bauen sie von Shanghai aus ein Unternehmen auf. Poppen.de wird als Plattform für „private Sexkontakte“ positioniert; die Klickzahlen der Seite steigen in den kommenden Jahren in dreistellige Millionenhöhen, die Umsätze angeblich in den siebenstelligen Bereich. Berichterstattung in namhaften Medien wie Spiegel, Stern, Süddeutsche, taz und Emma sorgt für Bekanntheit. Heute sollen bei Poppen.de .

Mit den Jahren bauen die Brüder Dreyer ein gesamtes Netzwerk aus „Erwachsenen-Communitys“ auf. Im Jahr 2007 kaufen sie angeblich für 500.000 US-Dollar die Domain Gays.com. Heute betreibt Ideawise auch unter den Adressen Gay.de, Seitensprung.de, Fetisch.de, Ab18.de und Sexwebcam.de entsprechende Angebote. Das Unternehmen verfügt mittlerweile über Niederlassungen oder Tochterunternehmen in Shanghai, Hong Kong, Berlin und Barcelona.

Die Idee für die Hurenplattform Kaufmich.com stammt aus dem Jahr 2008. „Kaufmich.com ist unter anderem deshalb entstanden, weil sich bei Poppen.de nach einiger Zeit immer mehr Nutzer mit finanziellen Interessen angemeldet haben“, sagt Benjamin Visser. Er ist seit drei Jahren von Barcelona aus leitend für das Projekt verantwortlich. „Wir wollten schon immer etwas im gehobenen Escort-Segment machen, da alle existierenden Angebote entweder lokal begrenzt waren oder optisch nicht dem entsprachen, was wir uns vorstellen.“

Benjamin Visser (rechts) mit Julius Dreyer auf der Dachterrasse des Unternehmens in Barcelona

Benjamin Visser (rechts) mit Julius Dreyer auf der Dachterrasse des Unternehmens in Barcelona

Auf Kaufmich.com können sich Prostituierte darstellen; Freier können deren Profile betrachten und Kontakt mit ihnen aufnehmen. Mit der letztendlichen „Abwicklung der Transaktion“ haben die Seitenbetreiber dann nichts zu tun – damit vermeiden sie auch den Strafbestand der Zuhälterei. Doch wie verdienen Ideawise dann mit dem Betrieb von Kaufmich.com Geld? Erste Monetarisierungsversuche abseits von Werbung für andere Portale erfolgten durch die „Kaufmich.com-Dollars“. Mit diesen können Prostituierte Anzeigen auf der Seite schalten, um besser sichtbar zu sein, und Freier können Prostituierten virtuelle Geschenke machen.

Plus-Mitgliedschaft lockt mit expliziten Bildern

Offenbar reichte dieses Angebot nicht aus, um die Seite profitabel zu machen. Im November 2013 führte das Unternehmen eine kostenpflichtige „Plus-Mitgliedschaft“ ein. Die Plus-Mitglieder können beispielsweise FSK18-Bilder sehen und unbegrenzt Nachrichten verschicken. Je nach Abo-Dauer zahlen die User zwischen 15 und 30 Euro pro Monat. Heute seien die kostenpflichtigen Mitgliedschaften Haupteinnahmequelle von Kaufmich.com, sagt Benjamin Visser. „Durch das sehr starke Wachstum in diesem Bereich werden wir nun zwölf Monate danach auf einer schwarzen Null stehen.“

Schon vor der Monetarisierung hatten die Bekanntmachung der Seite und der Aufbau eines Nutzerstamms die Betreiber offenbar durchaus vor Herausforderungen gestellt. Bei Google wurde die Werbung für die Plattform beispielsweise abgelehnt – Eskortservices seien „nicht erwünscht“, heißt es. Auch andere große Plattformen verbieten entsprechende Werbung: „Bei Playern wie Google, Facebook und Twitter ist es uns nicht erlaubt zu werben“, sagt Visser.

Seiten aus dem Erotik- und Pornobereich verkaufen den Poppen.de-Macher gerne Bannerplätze: „Zum Launch haben wir rund 20.000 Euro in Display-Werbung investiert – für ein Projekt dieser Größe ist das relativ wenig.“ Sehr gut sei damals eine Kampagne gelaufen, bei der Kaufmich.com die Ergo-Versicherung und deren damaligen Sexskandal auf den Arm genommen hat. „Wir machen auch heute noch Werbung bei speziellen Publishern aus dem Erotikbereich und tauschen Banner mit unserem Partnerportal Poppen.de aus.“

Die Bewerbung auf dem großen Schwesterportal ist wohl auch heute noch der stärkste Traffic-Lieferant für Kaufmich.com, wie die Statistik von SimilarWeb andeutet. Danach kommen, wie die Liste zeigt, offenbar diverse Foren, in denen sich Freier über Prostituierte und die „Qualität“ von deren Dienstleistungen austauschen: die überregionalen Seiten „Bordellcommunity“ und „Hurentest-Forum“, sowie regionale Foren für Baden-Württemberg, Sachsen, Bremen und Ostwestfalen-Lippe. Viele der Seiten haben mehrere Tausend registrierte Nutzer.

Ganzer Kosmos von Freierforen dient als Traffic-Lieferant

„Unser Wachstum rührt vor allen Dingen von Mund-zu-Mund-Propaganda. Viele Nutzer kommen über Huren- und Freierforen zu uns, in denen sich die Nutzer über ihre Erfahrungen mit den jeweiligen Sexworkerinnen austauschen“, bestätigt Benjamin Visser. „Wir haben ein Community-Team, das in diesem Bereich aktiv ist. Im nächsten Jahr wollen wir auch direkt bei uns auf der Seite ein Freier-Forum einrichten.“ Auch ansonsten wirke das Marketing vor allen Dingen „von innen heraus, indem wir virale Funktionen wie Einladungen und Rückverlinkungen verstärken“, erklärt Visser.

Auch mit neueren Formen von „Marketing ohne Media“ experimentieren die Kaufmich.com-Macher: „Wir sind auch ein bisschen im Content Marketing unterwegs; mit einem eigenen Magazin auf der Seite.“ Mit „authentischer Orthographie“ und in teilweise mühsam lesbarem Stil schreiben dort Huren und Freier über ihre Perspektive auf die Prostitution; auch Mitglieder des Kaufmich-Teams stellen sich vor und berichten über ihre Aktivitäten. „Damit haben wir täglich 2.500 Leser“, sagt Visser.

Einen Newsletter verschickt Kaufmich.com nur sporadisch. Zurzeit überlegen die Betreiber, ins Affiliate Marketing einzusteigen. „Weil es mit einem Produkt wie dem unseren nicht so leicht ist, bei den gängigen Affiliate-Netzwerken aufgenommen zu werden, wollen wir selbst ein Partnerprogramm einrichten und betreiben. Da sind wir mit unseren Plänen aber noch relativ am Anfang und werden wohl erst nächstes Jahr starten“, so der Projektverantwortliche. Darüber hinaus ist Kaufmich.com auch auf Events vertreten, beispielsweise dem Sexworker Kongress oder der Erotikmesse Venus in Berlin.

Aufzuholen haben die Macher noch im Mobile-Bereich. Während Poppen.de von neuen Mitbewerbern wie Tinder und Lovoo unter Druck gesetzt werden dürfte, hat im Bereich der käuflichen Liebe neulich mit Peppr.it ein junges Startup den Markt betreten. Alle Marktteilnehmer stehen hier vor der Herausforderung, dass Apps von ihnen in den App Stores von Apple und Google nicht akzeptiert würden. Entsprechende „Web-Apps“ sollen Abhilfe schaffen. Die mobile Version der Kaufmich.com-Site ist derzeit aber in ihrer Funktion noch stark abgespeckt und beschränkt sich hauptsächlich auf die Messaging-Funktionen. „Wir wollen aber bald eine Web-App anbieten, mit der die Nutzer auch Escorts suchen und buchen können. Wir hoffen den Anteil der Mobile-Nutzung damit von derzeit 30 Prozent auf 50 Prozent steigern zu können“, sagt Visser.

Das derzeit 15-köpfige Team rund um Kaufmich.com soll in den kommenden Monaten noch ausgebaut werden: „Kaufmich wird nächstes Jahr ein Team unter meiner Leitung aufbauen, das sich ausschließlich um das Thema Expansion kümmert“, kündigt der Manager an. „Wir werden eine internationale Version, mit einem eigenen Namen, Brand und Logo launchen.“

Bisher in unserer „Explicit Marketing Tactics“-Reihe erschienen: Knarre in den Kopf – Wie der Waffenhersteller Glock zur Ikone der Popkultur wurde

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Roland Eisenbrand
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Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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