Dieser 21-jährige Verleger will aus jedem Buch einen Amazon-Bestseller machen können

Florian Heide15.7.2022

Julius Loewenstein vertreibt die Bücher von Coaches und Konfliktberatern. Bedient er sich dabei selbst zweifelhaften Methoden?

Julius Loewenstein
Foto: Julius Loewenstein

Mit 17 Jahren hat er sein erstes Buch geschrieben, mit 21 Jahren zwei Buchverlage verkauft. Jetzt macht er mit seiner Amazon-Werbeagentur Finanzcoaches und Vortragsredner in kürzester Zeit zu Bestseller-Autoren. Wie stellt Julius Loewenstein das an?

Julius Loewenstein will reich werden, das ist kein Geheimnis. Mit sechzehn Jahren, sagt er, hat er zum ersten Mal „Die Gesetze der Gewinner“ gelesen, ein Buch vom selbsternannten „Money Coach“ Bodo Schäfer, der es mit seinen umstrittenen Büchern und Weiterbildungsseminaren zu einem Millionenvermögen gebracht hat. „Schäfer war für mich ein Vorbild“, sagt Loewenstein, der eigentlich Jan Sergienko heißt und aus Hamburg kommt. Julius Loewenstein ist sein Künstlername. „Das klingt mehr nach einem erfahrenen Autor“, sagt er.

Loewenstein ist heute gerade einmal 21 Jahre alt, groß und schlaksig, mit einem dünnem Bart in einem jungenhaften Gesicht. Mit siebzehn Jahren, sagt er, hat er sein erstes Buch verfasst, einen Ratgeber zum Thema Persönlichkeitsentwicklung. Es trägt den Titel: „Selbstbewusst auftreten: Wie Sie wirksam Durchsetzungsvermögen aufbauen, erfolgreich Menschen von sich überzeugen und eine starke Persönlichkeit entwickeln“.

In drei Wochen zum Bestseller

Auf Amazon kosten die knapp 50 Seiten heute 8,90 Euro. Wissenschaftliche Studien oder Resultate tiefgreifender Recherchen suchen Leser:innen darin vergebens. Loewenstein sagt, er wollte ein Buch schreiben, das einen „praktischen Bezug“ zum Leben habe, deshalb finden sich in seinem Ratgeber vor allem „Glaubenssätze“, deren Hauptquelle seine eigenen Erfahrungen sind. Zwei bis drei Wochen habe er damit verbracht sein Ratgeber-Debüt zu verfassen, dann zwei PDFs bei Amazon hochgeladen: Eine, mit dem Inhalt und eine mit dem Coverbild, auf dem ein goldener Löwenkopf prangt.

Selbstbewusstsein Buch

Das Autorendebüt von Julius Loewenstein über Selbstbewusstsein für 8,90 Euro bei Amazon. Screenshot: Florian Heide

Mit der ersten Veröffentlichung am 24. Mai 2018 beginnt die Autorenkarriere von Julius Loewenstein. Zwischen Mai 2018 und November 2019 veröffentlicht Loewenstein noch sechs weitere Bücher, allesamt Persönlichkeitsratgeber. Sie handeln von Themen wie Körpersprache, Rhetorik und Schlagfertigkeit. Und sie verkaufen sich, laut eigener Aussage bis heute über 170.000 Mal. Zwischen fünf- und zehntausend Euro sollen sie ihm eine Zeit lang pro Monat an Tantiemen eingebracht haben, also eine Autorengage die Amazon pro verkauftem Buch auszahlt. Und am wichtigsten: Manche von ihnen, wie etwa das Buch „Rhetorik: Reden wie ein Profi“ werden zu Bestsellern ihrer Buch-Kategorie.

Vom Buchautor zum Verlagsgründer

Zwischen 2019 und 2020 gründet Loewenstein zwei Buchverlage, gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Noah Malik. Malik ist ein studierter Bauingenieur aus Hamburg, fünf Jahre älter als Loewenstein und nach eigenen Angaben E-Commerce-Unternehmer, der bereits an zahlreichen Amazon-Buchverlagen beteiligt ist. Gemeinsam hätten sie in dieser Zeit rund 60 Bücher konzipiert und vertrieben, die meisten davon Ratgeber für Frauen, Beziehung, Kommunikation, Psychologie, Unternehmertum oder Erfolg.

Die Texte wurden zum Großteil von Ghostwritern geschrieben und die thematisch zusammenpassenden unter fiktiven Pseudonymen veröffentlicht. Daraus ergaben sich „Autorenmarken“, wie Loewenstein sagt. „Matthias Brandt“ etwa, dessen Amazon-Profilbeschreibung ihn als „Management-Trainer“ und „Sachbuchautor für effektive Projektorganisation“ auszeichnet, ist so eine. Die Bücher des fiktiven Autors handeln von Speed Reading, erfolgreichem Projektmanagement und Selbstdisziplin. Genauso wie Kristin Berger-Loewenstein, unter deren Namen sich Bücher für Frauen finden lassen, wie etwa „Selbstliebe – Reise zu deinem neuen Selbst“ oder „Der große Beziehungsratgeber“.

Julius Loewenstein und Malik verstehen sich auf ihr Handwerk. Während Malik sich um die Werbeanzeigen gekümmert und das Geschäft entwickelt habe, sei Loewenstein für den passenden Content zuständig gewesen. Um ihre Bücher erfolgreich zu verkaufen, finden sie bald eine effektive Methode: Für jedes Buch wählen sie einen aussagekräftigen Titel und ein auffallendes Cover-Foto. In der Produktbeschreibung heben sie gezielt das hervor, was der Mehrwert des jeweiligen Buchs sein soll. Dazu kommt, dass sie ungefähr die Hälfte der Tantieme in die nächste Display-Werbekampagne investieren. Sie lernen: Nur wer aggressiv wirbt, setzt sich auf Amazon durch. Sie schaffen es damit, in fast allen Fällen den begehrten Amazon-Bestseller-Badge zu ergattern.

So funktioniert Amazons Bestseller-System

Der Bestseller-Badge ist ein kleines, orangefarbenes Logo, das die meistverkauften Bücher einer bestimmten Verkaufskategorie erhalten. Autor:innen profitieren von dem Gütesiegel, verschafft es ihnen einen wertvollen Vertrauensvorsprung, insbesondere bei den Leser:innen, die einen noch nicht kennen. Und die Konkurrenz ist groß: Allein in Deutschland sind im vergangenen Jahr über 60.000 neue Buchtitel erschienen. Auch deshalb wird unter den Amazon-Autor:innen eifrig um den Bestseller-Badge gefochten.

Amazon weiß die Begierde der Autor:innen zu nutzen: Das Unternehmen teilt seinen Buchbestand in über tausend unterschiedliche Kategorien ein und in jeder davon existiert die Möglichkeit, Bestseller zu werden. Unter der Rubrik „Ratgeber“ etwa finden sich fast 100 weitere Unterkategorien wie etwa „Frauen & Psychologie“ oder „Kommunikation & Beruf“. Den Bestseller-Badge erhält in jeder Kategorie das Buch, das sich am häufigsten verkauft.

Wie schwierig es ist, den Amazon-Bestseller-Status zu erhalten, hänge vor allem von der Buchkategorie und der Zielgruppe ab, erklärt Loewenstein. Ein gutes Buch über eine seltene Programmiersprache habe bessere Chancen Kategorie-Bestseller zu werden als ein Aktienbuch, von denen es unzählige gibt. Loewenstein sagt auch, er könne alle Bücher zum Amazon-Bestseller machen. „Zwar nicht durchgehend, aber die meiste Zeit.“ Von den 60 Büchern, die er verlegt habe, seien fast alle zwischenzeitlich Bestseller in einer Unterkategorie gewesen. Rund 1,7 Millionen Euro Tantieme wollen er und Malik damit erwirtschaftet haben, das geht aus einer Unternehmenspräsentation hervor.

Ein Zahnarzt kauft zwei Buch-Verlage

Die zwei Verlage haben Loewenstein und Malik im vergangenen März an Martin Paetz verkauft, einen Zahnarzt aus Berlin, für einen sechsstelligen Betrag. Das geht ebenfalls aus der Unternehmenspräsentation hervor. Paetz sei selbst Unternehmer, erklärt Loewenstein, und habe das Geschäftsmodell spannend gefunden. Loewenstein hat in der Zwischenzeit längst ein neues Projekt auf die Beine gestellt: Bereits im vergangenen Jahr hat er gemeinsam mit Maliks Nachfolger Stefan Hartmann, einem Amazon-Ad-Experten, der in den USA lebt, Book Leads gegründet, ein Buchverlag mit Amazon-Werbeagentur.

Zwar baut Book Leads ebenfalls Autorenmarken auf, verzichtet aber auf Pseudonyme. Stattdessen konzentriert sich das Unternehmen auf echte Autoren einer besonderen Nische, darunter sind Businesscoaches, Finanzberater, Kommunikations- und Gedächtnistrainer. Menschen, die hauptberuflich Seminare und Workshops anbieten, teilweise für viel Geld. Und die mit Hilfe von Loewenstein Bücher als Marketinginstrument nutzen wollen, um ihre Seminare zu füllen.

Vom Finanzguru zum Bestseller-Autoren

Einer der prominentesten Kunden von Book Leads ist etwa der umstrittene Immobilieninvestor und Selfmade-Millionär Alex „Düsseldorf“ Fischer. Fischer hält Vorträge über Vermögensaufbau, gibt Steuercoachings, Online-Kurse und schreibt seit 2016 Bücher über Themen wie Immobilieninvestitionen und ETFs. Loewenstein habe ihn auf einem seiner Seminare kennen gelernt, er war selbst als Besucher dort. 15.000 Euro habe er für das Ticket damals bezahlt. Heute ist er es, der Fischer die Seminarbesucher bringt – in dem er ihn zum Amazon-Bestsellerautoren gemacht hat. Immerhin ist die Kindle-Ausgabe des 2016 erschienen Buchs „Reicher als die Geissens“ auf Amazon Bestseller in der Kategorie „IT Projektmanagement“.

Screenshot Reicher als die Geissens

„Bestseller“ in der Kategorie „IT-Projektmanagement“: Die Kindle-Edition von „Reicher als die Geissens“ von Alex Fischer. Screenshot: Florian Heide

Wie viele Exemplare Loewenstein genau von Fischers Buch verkauft hat, sei schwer zu messen. Auch weil die meisten von Loewenstein vertriebenen Bücher auch als Hörbücher und Kindle-Editionen angeboten werden. Seiner Schätzung nach seien es aber im Falle von Fischer bereits mehrere Zehntausend Exemplare. Weitere Kunden von Book Leads sind unter anderem der Unternehmer Gunther Verleger oder Tassilo Peters, ein Experte für „gewaltfreie Kommunikation“. Dessen Buch „Familienkonflikte als Kraftquelle“ habe durch Loewenstein nicht nur sofort in der ersten Woche mehrere Tausend Verkäufe generiert, er sei damit auch auf Platz 35 der Amazon Top 100 Buchcharts gelandet. Das Taschenbuch ist heute immerhin noch auf Platz 2 in der Kategorie „Lexika“ und Platz 5 in der Rubrik „Adoption & Adoptivkinder“.

Seine Dienste lässt sich Loewenstein von den Bestsellerautoren gut bezahlen: Das kleinste Paket, eine dreimonatige Amazon-Werbebetreuung koste rund 2.500 Euro. Konzipiert und vertreibt Loewenstein oder einer der drei Mitarbeitenden ein Buch von Anfang an mit, wie bei Tassilo Peters, können die Dienste auch bis zu 35.000 Euro kosten. Darin seien die Werbekosten allerdings schon enthalten. Die Marge belaufe sich auf bis zu 50 Prozent. Aktuell setzt Loewenstein laut eigener Aussage zwischen 20.000 und 50.000 Euro im Monat um, je nach Auftragslage. „Es gibt auch Monate, da machen wir Verlust“, sagt er. Zwanzig Bücher würden sie aktuell auf Amazon betreuen.

Bedient sich Loewenstein unsauberen Tricks?

Immer wieder sperrt Amazon Accounts von Selfpublishern, weil sie sich unsauberer Marketing-Tricks bedienen, wie etwa die Nutzung von Plagiaten oder gefälschten Bewertungen. Loewenstein sagt, er habe dahingehend noch nie Probleme mit Amazon gehabt. „Ich habe immer sauber gearbeitet.“ Tatsächlich sind gleich mehrere Angaben auf der Webseite seiner Agentur wohl irreführend. Beispielsweise heißt es dort, ein Expertenteam würde seit über acht Jahren Bücher zu Amazon-Bestsellern machen.

Auf Nachfrage bestätigt Loewenstein, dass damit die vier Jahre Erfahrung von ihm und die seines Geschäftspartners Stefan Hartmann zusammen gemeint sind. Ähnlich geht Loewenstein bei den angeblichen zehn Millionen Euro Umsatz vor, die auf der Webseite stehen: Auch die, bestätigt er, seien zusammengerechnet mit den Umsätzen der Unternehmungen von Hartmann. Ähnlich dürfte es bei den ebenfalls dort erwähnten 200 Bestsellern und 1,5 Millionen Gesamtbuchverkäufen aussehen.

Woher kommen die tollen Amazon-Bewertungen?

Auf die Frage, ob er schonmal Fake-Bewertungen gekauft habe, erklärt er, dass er in einigen Fällen unabhängige Leser:innen anfrage, ob sie ein Buch kaufen und bewerten wollen. Dafür arbeite er mit einer Partneragentur zusammen. Tatsächlich sind zumindest die durchschnittlichen Amazon-Bewertungen seiner eigenen Bücher auffällig gut, sie haben teilweise über 1.000 Bewertungen und keines weniger als vier von fünf Sternen.

Wer die Ein-Sterne-Bewertungen liest, findet dennoch zahlreiche Kommentare enttäuschter Leser:innen, die sich von den vielen guten Bewertungen in die Irre geführt fühlen und über gefälschte Bewertungen spekulieren. Vorwürfe wie diese seien zwar hart für ihn zu lesen, bestätigt er auf Nachfrage. Immerhin habe er sich viel Mühe bei seinen Büchern gegeben. Andererseits, man könne es ja nicht jedem Recht machen. „Jeder Autor, der so viele Bücher verkauft und so polarisierend ist wie ich, wird kritisiert“, sagt er. Selbst nochmal ein Buch verfassen will das „Wunderkind der deutschen Buchbranche“, wie es auf der Webseite von Book Leads heißt, vorerst nicht mehr. Zunächst gilt es für ihn, neue Kunden zu gewinnen, die er zu Bestseller-Autoren machen kann.

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Florian Heide
Autor*In
Florian Heide

Florian arbeitet seit fast zehn Jahren als Print-Journalist. Angefangen beim Lokalblatt, später als Praktikant und Freelancer für DIE ZEIT und GEO. Seit 2020 ist er Redakteur bei OMR, wo er über Startups, Viraltrends, den Wandel von Social Media Plattformen und neue Technologien berichtet. Er hat nie Bargeld dabei und verbringt die Wochenenden am liebsten weit weg von Technologie in der Natur.

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