It is what it is: Drei Emojis gehen auf Twitter und Product Hunt viral und FOMO bricht aus

Torben Lux26.6.2020

[UPDATE] Was der aktuelle Hype um eine angebliche App, eine Emoji-Kombination und ein Meme über das virale Potenzial von "Fear of Missing out" verrät

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Viele Memes, Viral-Phänomene und Aufmerksamkeits-Säue, die durch die Social-Media-Dörfer dieser Welt getrieben werden, kann man getrost links liegen lassen. Manchmal lässt sich eine gewisse Neugier dann aber doch nicht verhindern. Das war damals bei der App „Yo.“ so, wenig später beim sozialen Netzwerk „Ello“ und zuletzt bei der App „Clubhouse“. Ganz aktuell braut sich ein neuer FOMO-Sturm zusammen. Das Absurde: So richtig weiß niemand, was sich hinter der vor allem auf Twitter gehypten Emoji-Kombi „???“ im Zusammenhang mit dem aufgewärmten Meme „It is what it is“ verbirgt. Ein Erklärungsversuch.

Update, 29. Juni, 14:30 Uhr: Am Wochenende lüfteten die Macher*innen dann das Geheimnis hinter ???. Keine App, keine Software, kein Geschäftsmodell, sondern „nur“ ein guter Zweck. Erst hätten sie einfach Spaß daran gehabt, einem Tiktok-Trend zu folgen und die Emojis auf Twitter zu teilen. Relativ schnell hätte sich die Reichweite verselbstständigt und die Gruppe hätte entschieden, die Aufmerksamkeit zu nutzen. „We didn’t have to think too hard: in this moment, there’s pretty much no greater issue to amplify than the systemic racism and anti-Blackness much of the world is only beginning to wake up to“, heißt es in dem Statement. 

200.000 US-Dollar seien durch ??? zusammengekommen, die unter anderem an den Loveland Foundation Therapy FundThe Okra Project und The Innocence Project fließen. Außerdem erinnert die Gruppe daran, dass #BlackLivesMatter und andere soziale Bewegungen keine kurzen Social-Media-Hypes sind. Starke Aktion.

Davon, das Siegel „#1 Product of the Day“ auf Product Hunt zu erhalten und damit ganz oben auf der Seite gelistet zu sein, träumen viele Entwickler von Apps, Tools und verschiedensten Software-Lösungen. Immerhin hat die Plattform schon als Startrampe für Unternehmen wie Slack, die Desktop-App Franz, die Blog-Plattform Medium und die Video-App Periscope gedient. Aktuell, rund sechs Stunden nach dem Erstellen der Seite auf Product Hunt, trägt ???.fm dieses Siegel und steht als Produkt des Tages an erster Stelle. Die genutzten Tags: „FUNNY“ und „TECH“.

Was ???.fm aber ist…das weiß wirklich keiner so genau. In der Beschreibung heißt es lediglich „It is what it is… give us your info and share with friends on twitter!“. Und wer gehofft hat, auf der verlinkten Webseite, der Emoji-Domain xn--mp8hai.fm, aufgeklärt zu werden, wird auch enttäuscht. Sucht man die Seite auf, findet man dort lediglich die wild umherflitzende Emoji-Kombinatio, einen Hintergrund in abwechselnd grellen Farben und einen Call-To-Action („give us your info“) zum Eintragen einer E-Mail-Adresse vor.

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Twitter, VCs und Tech-Promis springen drauf an

Nach dem Eintragen einer E-Mail-Adresse landet zwar keine Nachricht im Postfach, dafür erscheinen drei neue Aufforderungen. Man solle dem Twitter-Account „Divinity AI“ (@whatitisfm) folgen. Dieser verlinkt in der Beschreibung auf die Seite divinity.ai („Divinity is a tool that makes it easy to perform entity resolution on your messy data…“) und fordert wiederum per Tweet auf, dem echten Account „it is what it is“ (@itiseyemoutheye) zu folgen. Außerdem solle man daran denken, die Emoji-Kombination Auge-Kussmund-Auge beim eigenen Twitter-Namen zu ergänzen und natürlich mit Tweets auf die Seite aufmerksam machen, um „special treatments“ zu erhalten. So weit, so undurchschaubar.

Wer jetzt aber gedacht hat, es könnte nicht mehr kurioser werden – weit gefehlt! Denn den Aufforderungen, auf Twitter für was auch immer ???.fm ist zu trommeln, kommen tatsächlich seit einigen Stunden viele nach – darunter auch bekannte VCs und Insider aus der Tech-Branche. Nur um ein paar derer zu nennen, die bereits über ???.fm getwittert haben: Christian Miele (Partner bei E-Ventures und Präsident Deutscher Startupverband), Andrew Chen (Partner bei Andreessen Horowitz) und Jane Manchun Wong (Tech-Bloggerin).

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Dem eigentlichen Twitter-Account folgen derzeit knapp 3.300 Personen. Und hier tauchen dann auch ein paar angebliche Screenshots auf, die suggerieren, dass ???.fm eine Social App sein könnte. Auf einem erkennt man die Karte vom nördlichen San Francisco (Marina District), ein paar dort verteilte Augen- und Kussmund-Emojis sowie an Stories erinnernde Kreise mit Stundenangaben am oberen Rand des Screens. Dazu der Text: „being able to create ephemeral accounts on ??? is a game changer. wonder if snapchat will copy this“. In einem weiteren Tweet ist ein Screenshot einer Map inklusive Symbol einer Sprachnachricht angehängt. Hinweise, dass es sich tatsächlich um eine Social-/Community-App handelt, mit der man sich automatisch löschende Accounts erstellt?

Aber was ist ??? denn jetzt wirklich?

Tja, außer Vermutungen gibt es noch keine Antwort (außer natürlich: „It is what it is.“). Josh Constine, ehemaliger Techcrunch-Journalist und heute Head of Content bei der Venture Capital Firma SignalFire, erklärt in einem Blog-Post, dass sowohl die Emoji-Kombination, als auch der Satz „It is what is is“ beides in jüngerer Vergangenheit recht bekannte Memes sind. Die Art und Weise, FOMO (Fear of Missing out) mittels Exklusivität und spärlich gestreuten Informationen zu erzeugen, erinnert auch ihn an die App Clubhouse. Ob ??? am Ende wirklich die Voice-Chat-App mit Karten und sich löschenden Accounts ist, wie die Macher mit ihren Tweets und Retweets suggerieren, kann auch Constine nicht sagen.

Auch Forbes-Redakteur Paul Armstrong findet in seinem Artikel keine finale Antwort, weist allerdings auf einen Trittbrettfahrer-Account hin (inzwischen gelöscht), der angeblich Spenden sammeln wollte – per Bitcoin. Der echte Account hingegen ruft tatsächlich zum Spenden an den „Loveland Therapy Fund“ auf und erwähnt sogar, dass das den Einladungs-Prozess beschleunigen könnte.

Neben all den Spekulationen und Vermutungen äußern einige Beobachter aber auch Kritik. In der Kommentarspalte auf der Product-Hunt-Seite fragt ein Nutzer sinngemäß, ob es sich um soziales Experiment handele, wie einfach Menschen heute ihre E-Mail-Adresse weitergeben. Ein anderer will herausgefunden haben, dass hinter ??? die Macher der sich in der Beta-Phase befindende Praktikums-Vergleichplattform intern.world stecken – und es lediglich eine Marketing-Kampagne dafür sei. Und noch ein Weiterer glaubt nicht daran, dass es ein fertiges Produkt geben und Product Hunt getrollt werde.

Wer am Ende Recht hat, ob es sich um eine mit Hilfe der Tech-Szene und dem Nutzen von FOMO-Hebeln smarte Viral-Kampagne für eine App handelt oder sich jemand nur ein Spaß macht, dürften wir schon bald erfahren. Für 4 Uhr morgens unserer Zeit ist ein Update angekündigt. So oder so: Die erzielte Aufmerksamkeit ist ein Paradebeispiel dafür, wie mit Hilfe der Kombination aus Memes, dem Einbeziehen von Tech-Influencern und Mechanismen, die zum Teilen anspornen, wie Marketing für eine App aussehen kann.  

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Torben Lux
Autor*In
Torben Lux

Torben ist seit Juni 2014 Redakteur bei OMR. Er schreibt Artikel und Newsletter, plant das Bühnenprogramm des OMR Festivals, arbeitet an der "State of the German Internet"-Keynote, betreut den OMR Podcast und vieles mehr.

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