Gitti: Wieso das Nagelfarben-Startup schon vor „Die Höhle der Löwen“ immer ausverkauft war

Martin Gardt22.10.2020

Wie Jennifer Baum-Minkus ihre Kosmetik-DTC-Brand aufgebaut hat

Gitti Nagelfarben
Gitti verkauft "Nagelfarbe" die zu 55 Prozent aus Wasser besteht und weniger Schadstoffe beinhalten soll

Wie baut man eine Kosmetikmarke auf, wenn man über wenig Marketingbudget verfügt und selbst kein Influencer oder Influencerin mit Eigenreichweite ist? Jennifer Baum-Minkus setzt mit ihrem Nagellack Gitti auf ein Trendthema (Nachhaltigkeit & Veganismus), hat von Anfang an rund um sich als Gründerin eine Community aufgebaut und verkauft nach dem Drop-Prinzip. Im Gespräch mit OMR gibt die Gründerin einen tiefen Einblick in ihre Marketingstrategie, spricht über ihre Teilnahme an „Die Höhle der Löwen“ und erklärt, wofür sie die zuletzt eingesammelten drei Millionen Euro Funding verwenden möchte.

Die Gründerin von Gitti: Jennifer Baum-Minkus

Gitti-Gründerin Jennifer Baum-Minkus (Foto: Patrycia Lukas)

„Freunde haben mich bei einem Abendessen in Berlin gefragt, was ich machen würde, wenn ich keine Angst hätte. Ich hab einfach gesagt: Glitzernagellack“, so Baum-Minkus. „Ich komme klassisch von Konzernen, habe lange bei Henkel und Coca Cola gearbeitet. Irgendwann habe ich aber gemerkt, irgendwas stimmt nicht mit mir, und habe dann im Dezember 2017 entschieden, einfach zu kündigen.“

Auch ohne Gründungserfahrung macht sie sich dann daran, eine neue Art von Nagellack auf den Markt zu bringen. „Ich habe noch vor der Gründung von Gitti viel zu Nagellack recherchiert – welche giftigen Stoffe viele Lacke beinhalten können und wie schnell die im Körper nachzuweisen sind“, sagt Baum-Minkus. „Wie so viele war ich auf dem Weg zu einem bewussteren Lebensstil. Aber gerade für Nagellack habe ich keine nachhaltige Alternative gefunden und dann meine persönliche Wunschliste für das Produkt geschrieben. Am Ende hat die Arbeit daran anderthalb Jahre gedauert.“ 2019 bringt sie eigenfinanziert die ersten Nagelfarben unter dem Brandnamen Gitti (benannt nach ihrer Mutter) auf den Markt. Die bestehen zu 55 Prozent aus Wasser und sind geruchsfrei. Offenbar trifft Baum-Minkus damit einen Nerv. „Bei den Produkt-Starts 2019 war ich immer innerhalb von 24 Stunden ausverkauft – die erste Kollektion war in zwei Stunden weg. Dabei sollten die Nagelfarben für das ganze Jahr reichen.“

Reality-TV auf Instagram

Wie schafft es Jenni Baum-Minkus aber, direkt zum Start so eine Aufmerksamkeit um ihre Produkte zu erzeugen? Hier ihre Einordnung des ersten Geschäftsjahrs: „2019 haben wir den Online-Shop neun Mal geöffnet und über 300.000 Euro Umsatz gemacht – und das bei weniger als fünf Prozent Marketing-Spend.“ Der erste Grund für den guten Start dürfte in der Gründerpersönlichkeit von Baum-Minkus liegen. Vom Start weg habe sie versucht, eine wirklich interessierte Followerschaft aufzubauen. „Gitti kommt aus der Power der Community. Ich habe schon von Anfang an meine Instagram-Follower mit auf die Reise genommen und viele wertvolle Tipps bekommen. Unsere Produkt sind eigentlich eine Co-Creation von mir und meinen Followern“, erzählt sie. „Ich habe gleich zu Beginn auf Instagram erzählt, was ich so treibe und auch Fuck-ups geteilt. Das war wie eine kleine Reality Show.“

Diese Show bringt ihr bis heute auf dem persönlichen Instagram-Account über 4.600 Follower ein. Schnell habe sie aber die Erzählung rund um ihr Startup auf den Kanal von Gitti verlegt. Der kommt mittlerweile auf mehr als 50.000 Abonnenten. Beim Launch der ersten Nagelfarben-Kollektion hatten dem Account zwar erst eine niedrig vierstellige Zahl von Usern gefolgt – die sind durch die Reise mit der Gründerin umso interessierter am Produkt. Und vor dem ersten Produktverkauf bringt Baum-Minkus viele von ihnen dazu, ihren Newsletter zu abonnieren, weil sie in diesem die Verkaufsinfos zuerst kommuniziert. „Schon vor dem ersten Launch hatte ich über 1.000 Leute im Newsletter-Verteiler. Die haben dann den Shop direkt zum Glühen gebracht.“

Drops als Hype-Generatoren

Durch den direkten Ausverkauf der ersten Kollektion aus drei Farben im April 2019, bemerkt Jenni Baum-Minkus, wie kraftvoll ein lang vorbereiteter Launch mit viel Trommeln auf Social Media sein kann. Das sogenannte Drop Marketing haben ja auch Streetwear- und Sneaker-Brands wie Supreme, Nike & Co. perfektioniert (hier eine OMR-Analyse zum Phänomen). Die Eckpunkte: Auf Social Media das Produkt immer wieder zeigen und so Begehren auslösen, den Start der Kollektion immer wieder kommunizieren und nur eine begrenzte Zahl an Produkten verfügbar machen. So verkaufen die genannten Brands ihre Neuerscheinungen in der Regel innerhalb von Minuten aus.

„Ich habe dann entschieden, saisonale Kollektionen zu machen und die gezielt zu ‚droppen‘. Über Instagram zeigen wir vorher, wie sich die Farben kombinieren lassen. Wenn dann der Drop startet, sind die Leute direkt auf der Seite“, sagt die Gitti-Gründerin. Durch die Strategie hält sie, wie bereits beschrieben, zu Beginn die Marketing-Kosten gering und macht ihren Online-Shop 2019 gerade einmal neun Mal auf. Mittlerweile werden nur noch die saisonalen Kollektionen gedroppt – „Standard-Farben“ sind ständig im Shop verfügbar. Der aktuelle Renner sei das Türkis aus der Sommerkollektion. „Wir legen starken Fokus auf den eigenen Online-Shop. Wir wollen nah an den Kundinnen und Kunden sein und sie genau verstehen. Das ist die größte Chance für Marken: Anhand des Feedbacks erkennen, was an den Produkten verändert werden muss“, erzählt Baum-Minkus. Deshalb arbeite sie nur mit ausgewählten Handelspartnern zusammen und wolle auch weiterhin vor allem als DTC-Brand agieren.

DHDL-Deal platzt und trotzdem gibt’s ein Invest

Nach dem Verkaufsstart der ersten Gitti-Produkte im April 2019 steigt die Aufmerksamkeit noch einmal. „Durch den anfänglichen Hype sind wir schnell auf Instagram gewachsen, die Medien haben berichtet und einige Influencer haben auch über uns geschrieben, ohne Geld zu bekommen“, sagt die Gründerin. Bis Ende 2019 wachsen so die Follower-Zahlen auf Instagram laut dem Analyse-Tool Socialblade auf über 13.000. Ende August 2020 sind es 28.000. Den ganz großen Push liefert dann aber Jenni Baum-Minkus‘ Auftritt in der Gründer-Show „Die Höhle der Löwen“, der am 31. August 2020 ausgestrahlt wird. „Ich war auf alles vorbereitet, aber auf das nicht. Presse, Kunden, Community, alles ist explodiert“, erzählt sie. Allein in der Woche danach gewinnt Gitti auf Instagram über 16.000 Follower hinzu – ein Zuwachs von über 50 Prozent.

Gitti Beauty wächst auf Instagram

Das Followerwachstum des Instagram-Accounts von Gitti Beauty – den Sprung hat das Unternehmen dem DHDL-Auftritt von Jennifer Baum-Minkus zu verdanken (Quelle: Socialblade)

In der Sendung zeigen alle fünf Löwen Interesse an einer Investition. Baum-Minkus entscheidet sich für Dagmar Wöhrl und Judith Williams, die bei einer Unternehmensbewertung von 3,75 Millionen Euro investieren wollen. Im Nachgang scheitert die Vereinbarung. „Der Deal ist am Ende nicht zustande bekommen, weil ich und die potenziellen Investoren an gewissen Punkten gemerkt haben, dass es nicht passt“, erzählt die Gründerin.

Auch wenn der DHDL-Deal geplatzt ist, kann sie kurz danach ihre erste Seed-Finanzierungsrunde verkünden. Über drei Millionen Euro investieren Grazia Equity, Btov Partners und Business Angels dabei in das Unternehmen. Dadurch sind jetzt etwa Beate Fastrich, ehemalige Geschäftsführerin von Estée Lauder Deutschland, Christoph Honnefelder, CCO von Flaconi, davor kurzzeitig CEO bei Kylie Cosmetics, Mirko Caspar, Co-CEO von Mister Spex und Christoph Cordes, ehemaliger Vorstand bei Home24, als Investoren bei Gitti an Bord. „Vor der Teilnahme an DHDL habe ich überlegt, wie groß ich meine Vision spielen kann. Und für den ganz großen Erfolg brauche ich Partner*innen für bestimmte Gebiete an meiner Seite“, so Baum-Minkus. Und genau das habe sie jetzt durch die Mischung an Beauty- und E-Commerce-Experten im Investoren-Pool erreicht.

Weiteres Wachstum durch Influencer und breite Produktpalette

Wofür wird Gitti die eingesammelt Millionen nun verwenden? „Derzeit ist das klare Ziel, das Produktportfolio zu erweitern und dem Namen ‚Gitti Conscious Beauty‘ gerecht zu werden“, erzählt die Gründerin. Neben Nagelfarben stehen weitere Produkte schon in den Startlöchern, die in den kommenden Wochen präsentiert werden sollen. Dazu brauchen Baum-Minkus und Gitti natürlich auch wieder einen Plan, um aufzufallen – die Eigenreichweite auf Instagram allein reicht für weiteres Wachstum nicht aus. Deshalb geht das Unternehmen mittlerweile auch mit Budget auf Influencer zu – vor allem auf Nutzerinnen mit 30.000 bis 50.000 Followern.

„Wir schauen gerade, welche Kanäle für uns am besten funktionieren. Bisher waren die Akquisitionskosten super gering. Paid Social und Influencer sind aber sicher am interessantesten“, so die Gründerin, die Investitionen in Marketing aktuell noch „Spielgeld“ nennt. „Pinterest ist aktuell wahnsinnig absurd, was das Wachstum angeht. Auch auf Tiktok probieren wir erste Sachen aus“. Auf Pinterest verzeichnet Gitti aktuell 1,5 Millionen monatliche Besucher auf den vom Unternehmen geposteten Pins. Auf Tiktok steht das Startup noch ganz am Anfang mit 33 Followern und 377 Likes. Eines der Kurzvideos kommt aber immerhin auf fast 15.000 Views – am Ende die wichtigste Kennzahl auf der Plattform.

Neben den Social-Aktivitäten versucht sich Gitti auch an Content Marketing. Mit „the good good“ hat Baum-Minkus ein Digital-Magazin für nachhaltige Themen gestartet. Ein eigenes Redaktionsteam berichtet hier über Lieblings-Produkte von Bloggerinnen, Abschminkpads aus Baumwolle oder die Gefahren von Nagellack in der Schwangerschaft. Dabei stellt das Team auch Produkte von anderen Herstellern vor – ab und an darf eine Erwähnung von Gitti-Nagelfarbe natürlich nicht fehlen.

Nachhaltigkeit durchspielen

Durch die große Aufmerksamkeit und Effekte der Corona-Krise (wie beispielsweise geschlossene Nagelstudios und eine stärkere Verschiebung hin zu DIY und Online Shopping) sei der Umsatz von Gitti im vergangenen halben Jahr um 600 Prozent gestiegen. Aktuell beschäftige Baum-Minkus über 20 Mitarbeiter. Weitere Zahlen will sie auf Nachfrage nicht nennen. Insgesamt gebe der Erfolg aber Rückenwind für die große Vision: „Was uns antreibt ist, Gitti zur nachhaltigsten Beauty-Marke der Welt zu machen“, so die Gründerin. „In der Beauty-Industrie ist der aktuell wichtigste Faktor für Wachstum der Einsatz von natürlichen Inhaltsstoffen. Deutschland war schon immer führend auf dem Markt für Naturkosmetik. Hier bewegt sich jetzt aber nochmal extrem viel und auch die Performance vieler Produkte wird besser.“

Jennifer Baum-Minkus will das Thema für Gitti noch größer spielen: „Aus meiner Sicht sind nicht nur die Inhaltsstoffe entscheidend. Für echte Nachhaltigkeit müssen auch Verpackungen neu gedacht werden“. Darüber hatte die Gründerin vom Start weg nachgedacht – zuerst vor allem über die Produktverpackung: „Mir war von Anfang an klar: Das Produkt muss social-ready sein. Die Flasche ist flach, damit sie auch auf dem Tisch liegen und inszeniert werden kann.“ In der Community hatte Baum-Minkus gerade außerdem dazu aufgerufen, an einem Pitch für eine neue Versandverpackung teilzunehmen. Gitti Nagelfarben sollen auch nachhaltig verschickt werden – und trotzdem beim Auspacken etwas auslösen. Wie die Verpackung am Ende aussehen soll, entscheidet bald natürlich die Community.

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MG
Autor*In
Martin Gardt

Martin kümmert sich vor allem um neue Artikel für OMR.com und den Social-Media-Auftritt. Nach dem Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft ging er zur Axel Springer Akademie, der Journalistenschule des Axel Springer Verlags. Danach arbeitete er bei der COMPUTER BILD mit Fokus auf News aus der digitalen Welt und Start-ups. Am Wochenende findet Ihr ihn auf der Gegengerade im Millerntor.

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