Depop: Die Stars dieser Social-Selling-App setzen 330.000 Euro im Jahr mit Vintage-Mode um

Der Marktplatz kämpft mit um den milliardenschweren Resell-Markt

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Isabella McFadden, alias "Internet Girl" (Quelle: Instagram)

Ein Modeimperium aus dem eigenen Schlafzimmer heraus aufzubauen – mit diesem Versprechen versucht der britische Second-Hand-Marktplatz Depop Nutzer zu gewinnen. Offenbar mit Erfolg: Mehr als zehn Millionen Nutzer sollen laut Unternehmensangaben bereits auf Depop angemeldet sein. Die erfolgreichsten unter ihnen verzeichnen sechs- bis siebenstellige Follower-Zahlen, generieren Jahresumsätze im sechsstelligen Bereich und bauen nun eigene Marken auf. OMR ist tief in den Depop-Kosmos eingetaucht, hat mit der reichweitenstärksten deutschen Verkäuferin gesprochen und erklärt die Mechanismen der Plattform.

„Myspace famous“ steht auf einem T-Shirt, in dem Isabella McFadden (besser bekannt unter dem Namen „Internet Girl“) im Januar 2016 auf Instagram posiert. Wer die Hochzeit von Myspace noch miterlebt hat und heute durch McFaddens Instagram Posts sowie ihre Second-Hand-Angebote in der Marktplatz-App Depop scrollt, dem mag es so vorkommen, als sei Myspace nie weg gewesen. McFadden trägt und verkauft Second-Hand-Mode und Accessoires, die all jenen, die den Emo-Look aus den Nuller-Jahre noch kennen und denen Begriffe wie Suicide Girls, Hot Topic, Gothic und Nu Metal etwas sagen, vertraut vorkommen könnte. Was vor 15, 20 oder 25 Jahren angesagt war, wird aktuell durch die Retro-Zyklen der Modewelt wieder nach oben gespült.

Die jüngsten Posts auf Isabella McFaddens Instagram Account

Vintage-Hustlerin seit ihren Teenager-Jahren

Die Artikel, die McFadden verkauft, stammen häufig aus „Thrift Stores“, also Läden, in denen Gebrauchtwaren in der Regel zu wohltätigen Zwecken verkauft werden. Sie durchsuche gemeinsam mit ihrem Freund ganze Läden, erstelle eine Auswahl und selektiere dann am Ende in der Möbelabteilung nochmals kritisch, was sie wirklich kaufe, so die junge US-Amerikanerin im Jahr 2017 gegenüber Vogue.

McFadden ist heute 23 Jahre alt; als die Mode, die sie heute verkauft, angesagt war, war sie noch ein Kind. Seitdem sie 17 Jahre alt ist, kauft und verkauft sie Vintage Mode, wie sie in einem weiteren Interview erzählt. Seit 2012 betreibt sie als „Internet Girl“ einen eigenen Youtube-Kanal, 2015 erlangt sie unter diesem Namen über Tumblr und einen obskuren Kurzfilm erstmals eine gewisse Bekanntheit. Wenige Jahre später, nachdem sie ein Studium wegen psychischer Krankheit geschmissen hat, beginnt sie auf Depop, Second-Hand-Mode zu verkaufen.

„Für 150 US-Dollar stell‘ ich Dir ein ganzes Outfit zusammen“

Noch bevor Instagram angekündigt hatte, eine Shopping-Funktion zu integrieren, war Depop schon das „Instagram des Shoppings“. Die Nutzer können anderen Nutzern folgen, Kommentare abgeben und Artikel liken – aber auch Angebote einstellen und verkaufen, Artikel anderer Nutzer kaufen und Bewertungen abgeben. Die App ist im Jahr 2011 aus einer Shopping-App des Lifestyle-Magazins PIG („People in Groove“) entstanden. Heute verzeichnet Depop nach eigenen Angaben mehr als zehn Millionen Nutzer; in einem Artikel des New York Magazine aus diesem August ist sogar von 15 Millionen Nutzern die Rede. Getrieben wird das Nutzer-Wachstum augenscheinlich von der Community und von Retro-Trends.

Isabella McFaddens Gespür für solche Trends hat sie zur wohl bekanntesten „Depop-Influencerin“ werden lassen. Heute folgen ihr auf der Plattform 578.000 Menschen; 23.000 Verkäufe hat sie bislang generiert. Offenbar besonders gefragt sind ihre „Bundles“, in deren Rahmen sie den Käufern ein komplettes eigenes Outfit zusammenstellt – zum Preis von 150 US-Dollar. Die Käufer müssen McFadden dafür ihre Konfektionsgröße und den gewünschten Stil mitteilen. Der kann beispielsweise „90’s Grunge meets baddie“, „Glam Pixie Nymph“, „CEO Goth Freak“ oder „Y2K Streetwear Weirdo“ heißen.

So bewirbt „Internet Girl“ ihre Bundles auf Depop

Jetzt kommt Internet Girls eigene Marke

Die Stückzahl ist begrenzt: Nur 20 Bundles pro Woche sind bei McFadden nach eigenen Aussagen über Depop käuflich erwerbbar; danach wird das Angebot gestoppt. Mit den kuratierten Outfits hat sie offenbar eine beachtliche Bekanntheit aufgebaut. Diverse andere Youtuber haben Unboxing-Videos ihrer „Bundles“ gedreht; mehrere davon erreichen hohe fünfstellige Aufrufzahlen.

Mittlerweile ist McFadden so bekannt, dass sie unter ihrem Künstlernamen eine eigene Marke aufbaut, unter der sie bislang Modeschmuck verkauft – auch auf einer eigenen Website. „Mein Einkommen liegt im sechsstelligen Bereich“, sagte sie im August gegenüber dem New York Magazine, ohne genauere Angaben dazu zu machen, in welchem Zeitraum sie dieses Einkommen generiert. Auf der Noah Conference in Berlin im November 2018 erklärte eine Managerin des Unternehmens, dass die Depop Top-Verkäuferin im vorangegangenen Jahr 300.000 umgesetzt habe – ohne die Währung zu spezifizieren oder den Namen der Verkäuferin zu nennen.

79.000 Euro Gewinn mit Second-Hand-Streetwear

McFadden ist jedenfalls kein Einzelfall. Nikole Edwards aus Kalifornien betreibt auf Depop den „Cyberspaceshop“, in dem sie Modeschmuck und Accessoires im Loveparade-Look zu Preisen zwischen 12 und 40 US-Dollar verkauft. 125.000 Nutzer folgen ihrem Account, fast 32.000 Verkäufe verbucht sie bislang. Kalkuliert man mit einem durchschnittlichen Verkaufswert von 20 US-Dollar, hätte Edwards bislang 640.000 US-Dollar umgesetzt. Und die Marge ist bei Modeschmuck möglicherweise noch attraktiver als bei Second-Hand-Mode.

Der britische Student Oliver Purnell betreibt in Bristol „Oliver’s Archive“ und verkauft auf Depop Second-Hand-Artikel von Streetwear-Labels wie Supreme und Palace sowie von etablierten Luxusmarken. 81.000 Nutzer folgen ihm, run 2.100 Verkäufe zählt Depop für seinen Account. Im Juni 2018 erklärt der damals 19-Jährige gegenüber Vice, dass er im Vorjahr 294.000 britische Pfund (nach derzeitigem Kurs rund 330.000 Euro) Umsatz und 70.000 Pfund (rund 79.000 Euro) Gewinn über Depop erwirtschaftet habe.

Chiara Ferragni hält Anteile an Depop

Neben solchen „nativen Depop-Influencern“ verkaufen auch zahlreiche Prominente auf der Plattform: die US-Youtuberin Tana Mongeau (die offenbar am Anfang nicht ganz verlässlich beim Versenden der Artikel war), die US-Musikerin Madison Beer und die aus „Game of Thrones“ bekannte britische Schauspielerin Maisie Williams, die ihre Einnahmen aus den Verkäufen nach eigenen Angaben wohltätigen Organisationen spendet. Die italienische Super-Influencerin Chiara Ferragni war erste offizielle „Botschafterin“ von Depop, hat auf der Plattform 1,8 Millionen Follower angesammelt und besitzt laut Depop-Gründer Simon Beckerman auch Anteile am Unternehmen.

Neben solchen Platzhirschen gibt es in der App eine Vielzahl von kleineren Sellern, die vierstellige Beträge im Monat umsetzen: Die Britin Thidarat Kaha beispielsweise, die laut dem Guardian mit 44.000 Followern rund 6.000 britische Pfund im Monat im Monat umsetzt. Offenbar hat die Plattform auch schon erste Dropshipper angelockt, die nach einem Kauf neue Ware in China bestellen und von dort direkt an den Käufer schicken lassen. Zehn Prozent des Verkaufspreises des jeweiligen Artikels müssen die Händler an Depop als Gebühr abtreten; dann kommt nochmals rund 2,5 Prozent Gebühr für die gewerbliche Nutzung des Zahlungsdienstes Paypal hinzu.

In Deutschland noch Luft nach oben

In Deutschland ist Depop offenbar noch nicht so weit verbreitet. Das Berliner App-Analytics-Tool Priori Data schätzt, dass die App hierzulande betriebssystemübergreifend erst 244.000 Mal heruntergeladen worden ist. Die Second-Hand-Plattform Kleiderkreisel (international unter dem Namen „Vinted“ aktiv) ist im Vergleich dazu in Deutschland mit (nach Priori-Data-Schätzungen) 6,7 Millionen Downloads deutlich erfolgreicher. Kleiderkreisel zielt anders als Depop jedoch stärker auf Privatverkäufe ab. Laut Kleiderkreisel-AGB müssen gewerbliche Anbieter die Zustimmung des Unternehmens einholen, um auf der Plattform aktiv werden zu können.

Mit 15.000 Followern ist Paula Louise Lange aus Berlin möglicherweise die reichweitenstärkste deutsche Verkäuferin auf Depop. Die 25-Jährige verkauft auf der Plattform unter dem Namen „louisenkind“; größtenteils Modeschmuck, aber auch das ein oder andere Second-Hand-Kleidungsstück. Davon leben kann sie aktuell noch nicht, wie sie gegenüber OMR am Telefon erklärt. 192 Sales stehen zu Buche, seitdem sie sich im Juni 2018 auf der Plattform angemeldet hat.

Die Follow/Unfollow-Methode treibt auch auf Depop Blüten

Eine Depop-Verkäuferin, die 86.000 Nutzern folgt (bearbeiteter Screenshot)

Tipps aus dem Depop-Forum bei Reddit hätten geholfen, ihr Follower-Wachstum voranzutreiben, erklärt Lange. Wer das Depop-„Subreddit“ durchstöbert, stößt auf Tipps, die Social-Media-Versierten teilweise auch von anderen Plattformen bekannt vorkommen: möglichst vielen Nutzern zu folgen beispielsweise. „Ich folge nur Nutzern, bei denen ich sehen kann, dass sie auf solche Sachen stehen, wie ich sie verkaufe“, so die Berlinerin. Wie eine entsprechende Google-Suche zeigt, existierten ähnlich wie für Instagram auch schon für Depop Bots, die für die Händler automatisiert anderen Nutzern folgen. Deren Preise liegen zwischen 15 US-Dollar pro Monat und 75 britische Pfund pro Jahr.

Weil die Verkäufer sehen können, wer ihre Artikel angesehen hat, versuchen manche Depop-Seller auch per Direktnachricht Kunden zu gewinnen: „Viele Leute schreiben die Nutzer, die ihre Artikel angesehen haben, aber nichts gekauft haben, an, so à la ‚Warum hast Du denn nichts gekauft?‘ Aber ich finde das nervig“, so Lange.

Der internationale Wettbewerb ist groß

Ein weiterer „Growth Hack“: Den Ort des eingestellten Artikels zu verändern. „Dann werden die Artikel auch anderen Nutzern angezeigt, die nicht unbedingt aus Deutschland kommen“, so Lange. „Ich schreibe dafür explizit in der Artikelbeschreibung und in meiner Account-Bio, dass ich aus Berlin verschicke. Mit dieser Methode sind bei mir ein paar mehr Verkäufe reingekommen.“

Ob Lange künftig mehr Kunden aus Deutschland erreichen kann, wird davon abhängen, wie gut sich Depop gegenüber Kleiderkreisel durchsetzen  können wird. International muss Depop sich nicht nur gegenüber Kleiderkreisel-Betreiber Vinted behaupten, sondern auch gegenüber solch teilweise hochfinanzierten Mitbewerbern wie Poshmark, Thredup, StockX, Grailed und (wegen der angekündigten Shopping-Funktion) möglicherweise ja sogar Instagram. Sie alle kämpfen um Anteile am weltweiten Resell-Markt. Thredup rechnet vor, dass sich der Markt innerhalb der nächsten fünf Jahre auf mehr als 50 Milliarden US-Dollar Volumen verdoppeln wird.

Holtzbrinck glaubt an Depop

Dem Wettbewerb „wehrlos“ ausgesetzt sind die Macher von Depop jedoch nicht: In bislang drei Finanzierungsrunden hat das Unternehmen insgesamt 105,6 Millionen US-Dollar eingesammelt; die letzte Runde im Juni 2019 war 62 Millionen US-Dollar schwer. Mit zu den ersten Investoren gehört der Investment-Arm des deutschen Verlagshauses Holtzbrinck. Über die Unternehmensbewertung ist nichts bekannt. Es wäre aber sehr erstaunlich, wenn diese nicht deutlich über einer halben Milliarde US-Dollar liegen würde.

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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