Cricut: Schneidemaschine reitet den DIY-Trend mit Facebook-Gruppen zum Millionenumsatz

Martin Gardt24.2.2020

Für die Bastel-Maschine Cricut muss der US-Hersteller Provo Craft keine Werbung machen – das erledigt die riesige Fan-Gemeinde

Cricut Maker
Der Cricut Maker scheidet Muster in verschiedene Materialien

Der weltweite Do-It-Yourself-Markt soll schon 2018 über 43 Milliarden US-Dollar wert gewesen sein. Gepusht durch Plattformen wie Instagram und Pinterest versuchen sich immer mehr Menschen an Bastel- und Heimwerker-Projekten. Ein großer Profiteur ist ein Unternehmen aus Utah, das vor allem den Schneideplotter „Cricut“ verkauft – ein Gerät, das Schnittmuster aus verschiedenen Materialien schneiden kann. In Facebook-Gruppen tauschen sich Hunderttausende Nutzer über Cricut-Projekte aus, auf Instagram und Pinterest platzieren sich DIY-Blogger mit ihren Designs. Wir zeigen, wie das Unternehmen hinter dem Produkt durch den Hype auf den Plattformen Hunderte Millionen Dollar Umsatz pro Jahr macht.

Provo Craft startet Ende der 60er als ein Bastelladen in South Jordan im US-Bundesstaat Utah. Jahrzehntelang wächst das Geschäft gemächlich und das Unternehmen eröffnet weitere Läden in Utah und Idaho. Der Durchbruch zu einem Unternehmen mit aktuell über 280 Millionen US-Dollar Umsatz und 800 Mitarbeitern löst erst der Cricut aus. Derzeit verkauft Provo Craft den „Cricut Explore Air 2“ für um die 350 Euro und den „Cricut Maker“ für knapp 400 Euro. Das teure Modell richtet sich an Profis und erlaubt die Nutzung von zwölf Werkzeugen zum Schneiden, Schreiben, Falzen usw. Der Explore Air 2 soll Hobby-Bastlern bei ihren Projekten helfen. Demnächst kommt mit dem „Cricut Joy“ noch ein drittes Produkt für kleinere Basteleien auf den Markt. Auch in Deutschland scheint die Brand wachsen zu wollen. Zumindest sind Stellen in München ausgeschrieben.

Drucker-Geschäftsmodell im DIY-Business

Die Geräte erinnern auf den ersten Blick an Drucker – sie funktionieren nur etwas anders. Nutzer packen das jeweilige flache Material in den Cricut, setzen das gewünschte Werkzeug ein und wählen den gewünschten Schnitt. Daraus entstehen dann selbstgestaltete Motive zum Aufbügeln, Grußkarten, Nähprojekte oder Wandbilder. Weil schon das günstigere Cricut-Modell über 100 Materialien bearbeiten kann, sind Bastelverrückten wenige Grenzen gesetzt. 

Diese gestalterische Freiheit scheint dem Geschäft von Provo Craft wiederum ebenfalls gut zu tun. Denn nicht nur das Design der Produkte erinnert an Drucker, auch das Geschäftsmodell ähnelt sich. Denn nach dem Kauf des Produkts sollen Nutzer im besten Fall über Jahre weiterhin Cricut-Produkte kaufen. Das Unternehmen bietet vielfältiges Zubehör an, darunter sogenannte Kartuschen, also für die Größe des Cricut passende Sets für spezielle Bastelprojekte – etwa selbst gestaltete Boxen oder Bücher. Auch die Materialien, die sich zuschneiden lassen, gibt es direkt vom Hersteller. 

Zusätzlich hat Cricut ein digitales Produkt erdacht, das langfristig für Umsätze durch bestehende Kunden sorgen soll. Über Cricut Access können Nutzer in einem Abo-Modell auf Bilder, Schriftarten und Designs zugreifen, die sie dann für ihre Projekte nutzen können. Pro Monat kostet das zehn US-Dollar. Gleichzeitig bietet das Unternehmen in seiner App lizenzierte Bilder und Schriftarten von Marken wie Disney an – für die zahlen die Nutzer einzeln. Um einen Eindruck über die Nutzerzahlen zu bekommen, bietet sich dann auch ein Blick auf die App-Downloads an. Laut dem Analyse-Tool Priori Data wurde die Cricut-App bisher 1,9 Millionen Mal auf iOS-Geräte geladen, bei Android sind es knapp 800.000 Downloads. Die Geräte lassen sich aber auch über Desktop-Computer steuern.

Facebook-Gruppen pushen Produktverkäufe

Wo kommen jetzt aber die Käufer der Cricut-Maschinen her? Das Produkt verzeichnet auf verschiedenen Plattformen eine riesige Follower-Zahl. Auf Facebook sind es mehr als 1,7 Millionen Fans, bei Instagram über 860.000 und bei Pinterest etwa 280.000. Fast noch beeindruckender sind aber Zahlen rund um mehrere unabhängige Facebook-Gruppen. „Cricut Newbies & Pros for Explore and Maker“ hat 215.000 Mitglieder, „Cricut For Beginners“ 143.000, „Cricut Design Space“ kommt auf 310.000 und „Cricut Craft Life“ auf 217.000. Wir haben weit über 100 Facebook-Gruppen zum Thema Cricut gezählt mit insgesamt weit über zwei Millionen Mitgliedern.

Cricut Facebook-Gruppen

Eine Auswahl von Facebook-Gruppen zum Thema Cricut

Kein Wunder, dass Ashish Arora, CEO von Provo Craft bei Cricut, von einer „neuen Form des Netzwerkens rund um Kreativität“ spricht. In den Gruppen tauschen sich Cricut-Nutzer zu Techniken und Ideen rund um Bastelprojekte aus. Allein in der Gruppe „Cricut For Beginners“ wurden in den letzten 24 Stunden fast 2.000 Beiträge gepostet. Die lebendige Community kurbelt auf der einen Seite Verkäufe neuer Geräte an. Gleichzeitig sorgt die dauerhafte gegenseitige Inspiration dafür, dass diese auch genutzt werden – und Provo Craft an Materialien, Zubehör & Co. verdient.

Ein Ökosystem rund um die Bastel-Maschine

Wo große Reichweiten sind, folgen schnell auch findige Geschäftsleute. Rund um Cricut-Maschinen ist ein ganzes Ökosystem entstanden, von dem vor allem DIY-Blogger profitieren – und Provo Craft. Blogger wie Jennifer Marx (alias Jennifer Maker), Melody Lane, Troy Young und viele weitere gewinnen Fans auf den verschiedenen Plattformen mit Bastelanleitungen für Cricut. Auf ihren Webseiten setzen sie in den Anleitungen jede Menge Affiliate-Links. Wenn ein Nutzer nach einem Klick darauf ein Cricut oder Zubehör kauft, kassiert der Blogger eine Provision. 

Die Mechanismen, die den Bloggern helfen, ihre Reichweite aufzubauen, sind die selben, die auch Cricut groß gemacht haben. Viele von ihnen betreiben Facebook-Gruppen, in denen sie neue Anleitungen und Links zu ihrer Seite posten. Die Facebook-Gruppe von Jennifer Maker kommt auf 115.000 Mitglieder. An ihrem Beispiel zeigt sich gut, wie Blogger auf mehreren Ebenen vom Cricut-Ökosystem profitieren. Neben den Affiliate-Links zu den Produkten, verkauft sie Bücher mit Anleitungen und bietet Kurse rund um Cricut an. 2019 habe sie jeden Monat an die 70.000 US-Dollar verdient – vor allem mit digitalen Kursen rund um das Basteln mit den Schneidemaschinen. 

Instagram und Pinterest sind die perfekten Plattformen

Klassisches Marketing macht Cricut vor allem über die großen Plattformen, wo das Unternehmen ja jetzt schon riesige Reichweiten verzeichnet. Weltweit laufen derzeit bei Facebook und Instagram mehr als 340 Werbeanzeigen, die meisten rund um das neue Gerät Cricut Joy, der am 1. März auf den Markt kommt. Auch organisch scheint es aber zu funktionieren. Auf Pinterest schauen jeden Monat 3,8 Millionen Nutzer auf dem Account des Unternehmens vorbei. Cricut selbst zeigt auf über 58 Pinnwänden, wie man das Produkt einsetzen kann – und sogar, wie man ein Blogger-Business rund um das Thema startet. Dabei sammelt das Social-Media-Team vor allem Content von Bloggern und verweist dann auf Pinterest darauf. Den einzelnen Pinnwänden folgen zum Teil über 200.000 Nutzer. 

Und auch auf Instagram kann sich das Unternehmen auf User Generated Content verlassen. Der Großteil der Posts auf dem Cricut-Account stammt von DIY-Instagrammern. Unter dem offiziellen Hashtag #cricutcreated tauchen 21.000 Beiträge auf – der Hashtag #cricut liefert über eine Million Posts. Das Unternehmen hat es also leicht, guten Content zu finden. Trotzdem hat nicht jeder Anbieter so einen Aufstieg hingelegt. Schon früh gab es Konkurrenz für Cricut. Das Unternehmen Silhouette stellt ähnliche Geräte her. Allerdings kommen die „nur“ auf 265.000 Instagram-Follower. Das Ökosystem aus unzähligen Bloggern und Facebook-Gruppen fehlt – das merkt man dann auch an der Gesamtreichweite.

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MG
Autor*In
Martin Gardt

Martin kümmert sich vor allem um neue Artikel für OMR.com und den Social-Media-Auftritt. Nach dem Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft ging er zur Axel Springer Akademie, der Journalistenschule des Axel Springer Verlags. Danach arbeitete er bei der COMPUTER BILD mit Fokus auf News aus der digitalen Welt und Start-ups. Am Wochenende findet Ihr ihn auf der Gegengerade im Millerntor.

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