Gaming, Cloud, Kliniken & Parfüm: So riesig ist Bytedance, der Konzern hinter Tiktok

Wir zeigen, in welchen Geschäftsfeldern das Unternehmen bereits wie erfolgreich ist

Die Bytedance-Firmenzentrale in Peking
Die Bytedance-Firmenzentrale in Peking (Foto: Unternehmen)

Mehr als 100 Milliarden US-Dollar soll Bytedance übereinstimmenden Berichten mittlerweile wert sein; damit gilt das Unternehmen als das wertvollste Startup der Welt. Hierzulande ist das chinesische Unternehmen vor allem für Tiktok bekannt. Doch seit der Gründung im Jahr 2012 ist Bytedance zu einem riesigen Konzern mit diversen Geschäftsfeldern herangewachsen. OMR beleuchtet das weitverzweigte Geflecht.

Google, Apple, Meta und Amazon sind alle einst als “Single-Purpose-Unternehmen” gestartet. Doch mit der Zeit haben sich die US-Tech-Giganten zu digitalen Mischkonzernen gemausert. Diese Entwicklung gilt ebenfalls für ihre chinesischen Pendants Alibaba oder Tencent, das mit WeChat quasi das Betriebssystem der Online-Existenz von Millionen von Chines*innen geschaffen hat. Aber wie sieht es eigentlich bei Bytedance aus, der einzigen asiatischen Tech-Company, die dank ihrer globalen Blockbuster-App Tiktok auch in Europa und den USA eine relevante Rolle spielt?

In Deutschland fokussiert sich die Wahrnehmung von Bytedance auf das extreme Wachstum von Tiktok und die anhaltenden Zweifel, wie ernst das Unternehmen den Datenschutz nimmt. Die haben kürzlich dazu geführt, dass die App gerade von den Handys aller Mitarbeiter*innen des US-Regierungsapparats verbannt wird. Und erst vergangene Woche wurde Tiktok-Chef Shou Zi Chew nach Brüssel zitiert, um sich einen Blumenstrauß aus Bedenken von der EU-Kommission abzuholen.

Dabei ist Bytedance weit mehr als Tiktok und dessen chinesisches Pendant Douyin. Noch sind die beiden Apps durch Werbeeinnahmen die Cashcows. 2021 machte Bytedance annähern 62 Milliarden US-Dollar Umsatz bei einem operativen Verlust von sieben Millionen US-Dollar (die jüngsten publizierten Zahlen des nicht börsennotierten Unternehmens). Doch schon seit rund vier Jahren strebt das Unternehmen danach, sich breiter aufzustellen.

Am besten gelingt Bytedance das beim Ziel, zu einem global relevanten Player im Gaming-Sektor zu werden. Auch beim Thema Cloud-Computing gehört Bytedance inzwischen zu den Marktführern in China. Aktuell wird kräftig auf den Feldern Metaverse und autonomes Fahren investiert. Höchste Zeit, sich die vielfältigen Aktivitäten des Unternehmens hinter Tiktok einmal gründlicher anzuschauen.

Restrukturierung im Jahr 2021: Sechs Business-Units

Da man hierbei schnell den Überblick verliert, macht es Sinn, zunächst die sechs Geschäftseinheiten von Bytedance zu betrachten, die aus einer Restrukturierung des Konzerns im Herbst 2021 hervorgegangen sind:

Die sechs Business Units von Bytedance, wie über sie im Rahmen einer Restrukturierung im Herbst 2021 berichtet wurde, im Überblick – ergänzt um weitere Gesellschaften und Geschäftsfelder

Die sechs Business Units von Bytedance, wie über sie im Rahmen einer Restrukturierung im Herbst 2021 berichtet wurde, im Überblick – ergänzt um weitere Gesellschaften und Geschäftsfelder (Grafik: Roland Eisenbrand)

Zunächst ist da die Einheit Douyin, in der das Stammgeschäft gebündelt ist. Neben der gleichnamigen App sind das Xigua, eine Plattform für längere Videos, sowie der News-Aggregator Toutiao. Daneben gibt es TikTok als eigenständige Unit, zu der die außerhalb Chinas angebotene Version der App samt aller angeschlossenen Aktivitäten wie E-Commerce gehört. Der Umsatz dieses Bereichs wächst in China aktuell rasant, und auch im westlichen Ausland hat Bytedance große Pläne, auf die noch zurückzukommen sein wird.

Unter dem Namen Nuverse bündelt Bytedance seine Aktivitäten auf dem Gaming-Sektor. Diese Unit ist in den vergangenen Jahren vor allem durch Übernahmen gewachsen und schürt mit Blick auf die vielfältigen Investments im Bereich Metaverse große Erwartungen (siehe unten), das Nuverse seine schon heute wichtige Rolle als Umsatzbringer weiter ausbauen wird. Dali Education ist der 2020 gestartete, zuletzt allerdings strauchelnde Ed-Tech-Arm des Konzerns.

Schließlich gibt es noch das reine B2B-Geschäft. Zum einen entwickelt Bytedance mit Lark – auf dem Heimatmarkt Feishu genannt – eine Anwendung, die Funktionen von Slack und Googles G Suite kombiniert. Zum anderen betreibt der Konzern mit Byte Plus einen rasant wachsenden Bereich mit IT-Services, der KI- und Daten-Tools an Business-Kunden verkauft.

Autonomes Fahren

Dabei nimmt Bytedance zunehmend die Autoindustrie in den Blick. China ist auf dem Weg zum Leitmarkt für das autonome Fahren. Im Jahr 2035 werden dort 5,7 Millionen selbstfahrende Autos auf den Straßen unterwegs sein – die größte Flotte der Welt. Das prognostizierte die chinesische Filiale des Beratungsunternehmens Deloitte im August 2022 aus Anlass der Eröffnung des „Deloitte-Alibaba Cloud Auto Industry Center“, in dem beide Unternehmen zusammen unter anderem Anwendungen für das autonome Fahren entwickeln wollen.

Auch bei Bytedance investiert man schon eine Weile in das Zukunftsthema. Im März 2021 sollen die Chinesen Anteile an dem QCraft, einem, AV-Startup aus dem Silicon Valley, gesichert haben, hinter dem vier ehemalige Waymo-Ingenieur*innen stehen. Während dieser Deal nie betätigt worden ist, verkündete eine Pressemitteilung in der ersten Januarwoche ganz offiziell den Angriff auf den Rivalen Alibaba.

Die Konzerntochter Volcano Engine – eine zunächst für interne Zwecke gegründete Rechen-Cloud, die nach dem Vorbild von Amazons Cashcow AWS seit Mitte 2021 auch externen Kund*innen offen steht – launcht zusammen mit Haomo.AI, einer Ausgründung des chinesischen Autokonzerns Great Wall Motor, Mana Oasis. Die Rechenleistung des IT-Zentrums, in dem Anwendungen rund um das autonome Fahren entstehen sollen, übertreffe mit 670 Petaflops „alle anderen vergleichbaren Einrichtungen in China“, heißt es in der Mitteilung – ein klarer Seitenhieb in Richtung von Alibabas Konkurrenzunternehmung.

Gaming & Virtual Reality

Während das Engagement auf dem Feld Autonomes Fahren noch eine Wette auf die Zukunft ist, spielt Gaming für Bytedance bereits heute eine immer wichtigere Rolle. Wie die Analytics-Plattform Sensor Tower im Juni errechnet hat, mache das Unternehmen bereits 1 Milliarde US-Dollar Umsatz im Jahr mit Mobile Games. Spiele haben also bereits einen zweistelligen Anteil am Konzernumsatz.

Dieser Erfolg ist größtenteils eingekauft. Denn seit rund vier Jahren hat sich Bytedance über seine Gaming-Sparte Nuverse diverse Spiele-Studios wie Mokun, C4 und Moonton – Schöpfer des weltweit erfolgreichen Multiplayer-Battlegames „Mobile Legends: Bang Bang“ – einverleibt oder signifikante Anteile an erfolgreichen Entwicklern wie Umi Game und Mybo erhoben.

Eine neue Dynamik erhält dieser Bereich dadurch, dass Bytedance wie die US-Konkurrenten Meta und Snap auf das Metaverse wettet. Im August 2021 kauft der Konzern Pico, zu diesem Zeitpunkt drittgrößter Anbieter von VR-Headsets der Welt. Spätestens, als es Bytedance im Sommer 2022 gelang, Facebooks/Metas langjährigen XR-Veteranen Jian Zhang abzuwerben, dürfte allen klar sein, dass der Konzern das Thema sehr ernst nimmt.

Seit Oktober ist die jüngste Generation von Picos VR-Brille zu einem Kampfpreis von unten 400 Euro erhältlich, mittlerweile auch in Deutschland. Eine Million der Geräte will Bytedance nach eigenen Angaben weltweit absetzen, wobei der Zuspruch im chinesischen Heimatmarkt nach dem Launch zunächst verhalten ausfiel.

Neben der Hardware investiert Bytedance auch in Content. Pico veranstaltet regelmäßig virtuelle Konzerte mit chinesischen Superstars auf seiner Plattform. Im Juni wurde zudem der VR-Entwickler PoliQ übernommen und in Pico integriert. Außerdem wurde parallel zum Launch der neuen Brille eine Reihe von Kooperationen angekündigt. Ein Schwerpunkt liegt beim Thema Sport und Fitness. Unter anderem ist auch die deutsche, in China sehr erfolgreiche Fitness-Influencerin Pamela Reif mit eigenen Kursen auf der Plattform präsent.

Entertainment

Stars und insbesondere prominente Online-Personalities spielen auf Douyin und Tiktok naturgemäß eine große Rolle. Vor allem beim Thema Livestream-Shopping setzte Bytedance – wie die Konkurrenten Pinduoduo und Taobao – auf namhafte Kooperationspartner*innen. Doch bei einigen Größen der chinesischen Onlinewelt geht die Verbandelung deutlich weiter.

Im Juni 2021 wurde bekannt, dass Bytedance sich eine Minderheitsbeteiligung am Unternehmen Weinian Brand Management gesichert hat, der Agentur hinter der damals extrem erfolgreichen Rural-Lifestyle-Influencerin Li Ziqi. Bereits im Jahr zuvor war der Konzern alleiniger Investor der rund 26 Millionen US-Dollar großen Series-B-Finanzierungsrunde der Pekinger Künstleragentur Mountain Top. Bei der standen zu diesem Zeitpunkt 50 bekannte chinesische Entertainer*innen mit einer Fanbase von insgesamt mehr als 500 Millionen Follower*innen unter Vertrag, darunter in China sehr populäre Schauspieler*innen wie Angelababy, Zhou Dongyu, Chen He und Janine Chang.

Auf der Suche nach IP, das auf der eigenen Plattform ausgewertet werden kann, geht Bytedance auch unerwartete Allianzen ein. Im Sommer 2021 wurde ein gemeinsamer Deal mit Alibaba Pictures verkündet. Zusammen erwarb man Anteile an Yuehua Entertainment. Das Unternehmen managed nicht nur lokale Musikgrößen wie Han Geng und Fan Chengcheng. Es hat auch A-Soul ersonnen, eine Art rein virtuelle Musik-Supergroup, die aus den fünf beliebtesten Avataren der Streaming-Plattform Bilibili – dem chinesischen YouTube-Pendant – besteht.

E-Commerce

Auch der profaneren Seite des Entertainment-Biz widmet sich Bytedance. Ende 2021 übernahm der Tiktok-Konzern den Kinokartenverkäufer Yingtuobang. Ein logischer Schritt, lässt sich über die Integration von Services, doch an an der Popularität der Stars und Themen auf der eigenen Plattform mitverdienen. Dazu passt ebenfalls ein zeitgleich mit dem Ticketing-Dienstleister Yingtuobang übernommener Comic-Marktplatz. Auch das Investment in das in Dubai ansässige Fulfilment-Startup iMile dürfte dieser Logik folgen.

Finance

Das Thema Payment spielt im E-Commerce eine wesentliche Rolle. Darum verwundert es wenig, das Bytedance hier aktiv ist und im August 2020 über seine E-Commerce-Tochter das Unternehmen Wuhan Hezhong Yibao übernommen hat, das den Online-Zahlungsdienstleister UIPay betreibt. Schon im Mai des Jahres hatte sich der Konzern am Startup Lingxi beteiligt, das KI zu Inkassozwecken einsetzt.

Sport

Eines der frühesten großen Investments von Bytedance fand im Bereich Sport statt. Im Juni 2019 erwarb der Konzern für 182 Millionen US-Dollar einen 30-Prozent-Anteil an der Sport-Community-Plattform Hupu. Ursprünglich eine Plattform für Basketball-Fans, bietet Hupu inzwischen Content zu diversen Disziplinen. Geld wird mit Marketing- und E-Commerce-Aktivitäten verdient. Schon vor der Beteiligung waren Hupu und Bytedance eng verbunden. Zeitgleich mit der offiziellen NBA-Partnerschaft von Bytedance wurde dessen Xigua zum Player für alle Videos auf der Plattform.

Education

Aufgrund des niedrigen Durchschnittsalters der User*innen seiner von Tiktok und Douyin ist Bildung ein nahe liegendes Betätigungsfeld für Bytedance. Die im August 2020 abgeschlossene Übername des chinesischen Ed-Tech-Startups NPY sollte der Startschuss für eine Expansion in dem Bereich bilden. NPY soll zu diesem Zeitpunkt zwischen 20 und 30 Millionen Nutzer*innen seiner an Zielgruppen zwischen drei und zwölf Jahren gerichteten Livestreams und On-Demand Bildungsvideos gehabt haben.

Doch die Pläne wurden durch geänderte Regulierungen in China ausgebremst, durch die einige der Angebote illegal wurden. Statt wie geplant 10.000 neue Mitarbeiter*innen einzustellen, verkündete Bytedance im Sommer 2021 eine große Entlassungswelle. Aufgrund schlechter Konjunkturaussichten folgten im November 2021 und Juni 2022weitere Kündigungen. Aktuell fokussieren sich die wenigen Tausend verbliebenen Mitarbeitenden von Bytedances Education-Arm auf das Thema Erwachsenenbildung.

Lässt man das für alle Social-Media-Firmen obligatorische co-gebrandete Smartphone einmal außen vor, hat jedoch immerhin ein „first“ des Education-Bereichs Bestand: Die Uni hat das erste eigene Hardware-Produkt von Bytedance auf den Markt gebracht. Im Herbst 2020 erschienen eine smarte Tischleuchte, über die Eltern ihren Nachwuchs bei den Hausaufgaben beobachten und gegebenenfalls unterstützen könne – zu der Zeit eine boomende Gadget-Kategorie in China.

IT

Im IT-Sektor ist vor allem der bereits oben erwähnte Cloud-Computing-Services-Sparte Volcano Engine zu nennen, der zunächst aus eigenem Bedarf entwickelt wurde und später kommerzialisiert. Doch daneben tätigt Bytedance regelmäßig Akquisitionen im Software-Bereich. So wurden unter anderem ein Unternehmen übernommen, dass sich auf die Automatisierung von Softwareanwendungen spezialisiert hat sowie eine No-Code-Plattform, die den eigenen Slack-Konkurrenten Lark stärken soll.

Spektakulärer ist ein Bytedance-Investment aus dem Januar 2022. Da wurde die Beteiligung am erst wenige Wochen zuvor gegründeten AR-Startup Li Weike bekannt. Das Unternehmen arbeitet an einer virtuellen Assistentin für AR-Brillen. Die Ambitionen sind groß: Li Weike solle eine virtuellen digitalen KI-Figur werden, die eine emotionale zu den Usern herstellt, und nicht nur schön aussehen, „sondern auch eine interessante Seele“ besitzen, heißt es von dem Unternehmen.

Health

Hinsichtlich des Kerngeschäfts etwas überraschend, mit Blick auf die US-Branchen-Peers aber einem Trend folgend, ist Bytedances Engagement im Gesundheitssektor. Die Übernahme von Amcare Healthcare, einer auf Frauengesundheit, Geburtshilfe und Kindermedizin spezialisierten Privatklinik-Kette, hat sich der Konzern im August 2022 ganze 1,5 Milliarden US-Dollar kosten lassen. Kurz zuvor hatte Amazon sogar 3,5 Milliarden US-Dollar in die Übernahme von One Medical gesteckt, einer Kette von 180 Hausarztpraxen in den USA.

Bereits im Oktober 2021 fand ein weiteres, von der Öffentlichkeit eher übersehenes Investment von Bytedance im Medizinsektor statt. Mit einer nicht kommunizierten Summe beteiligte sich der Konzern am Meditech-Startup Shimu Biosciences (Pressemitteilung), das an einem durch künstliche Intelligenz gestützten Verfahren zur Entdeckung neuer Medikamente arbeitet.

Real Estate

Schon länger ist Bytedance mit einer eigenen Plattform im Bereich Wohndienstleistungen aktiv. Über Zhu Xiao Bang lassen sich Inneneinrichter oder Maler finden und Angebote einholen. Dieser Arm wurde zuletzt durch Übernahmen gestärkt. Seit 2021 wurden ein Maklerunternehmen, ein Handwerker-Dienstleister und ein Baustoffhandel übernommen. Seit dem vergangen Jahr betreiben die  Zhu Xiao Bang. Seit dem vergangenen Sommer betreibt die Konzerneinheit in einigen Städten sogar Maklerbüros und Geschäfte für Heimwerkerbedarf.

Random

Auch wenn es sich weniger um eine Übernahme noch einen eigenen Geschäftszweig handelt, soll das obskurste Venture von Bytedance hier nicht unterschlagen werden. Im April 2022 hat der Konzern unter dem Label Emotif eine eigene Duftlinie gelauncht. Noch gewagter als die Namen der drei Düfte – „Electronic Love“, „Flight in Deep Sea“ und „Pompidou only drinks Champagne“ – ist das Pricing. Die Newsplattform Dao Insights hat ausgerechnet, dass die Bytedance-Parfüms pro Milliliter teurer sind als der Luxus Evergreen Chanel No. 5.

Fazit: Wo ist die Strategie?

Vorweg: Diese Liste der Neben- und Zukunftsventures von Bytedance ist unvollständig. Laut dem Analyseunternehmen Equal Ocean hat sich der Konzern allein zwischen Januar und Oktober 2021 an 46 Firmen beteiligt. Der im Jahr 2019 gegründete Venture-Arm von Bytedance soll bis Januar 2022 in knapp 200 Unternehmen Geld gesteckt haben.

Die von OMR recherchierte Auswahl gibt allerdings einen guten Einblick in die Bandbreite der Aktivitäten. Was jedoch ist die verbindende Strategie? Gibt es die überhaupt?

Ein wesentlicher Aspekt der breit gestreuten Investment- und Übernahmeaktivitäten dürfte im Ziel besteht, die Abhängigkeit von Werbeeinnahmen zu verringern. Die Plattform “The Information” berichtete unter Berufung auf Insider, dass Werbeeinnahmen 72,9 Prozent des Gesamtumsatzes des Jahres 2020 ausgemacht hätten. Das wäre eine positive Entwicklung. Denn im Jahr davor sollen es noch über 90 Prozent gewesen sein.

Der Gaming-Bereich hat daran, wie erwähnt, bereits einen signifikanten Anteil. Doch auch in der Verbindung von On- und Offline-Welt sieht man bei Bytedance großes Potenzial. Das wird vor allem durch das Engagement im Segment „local lifestyle“ deutlich. Darunter werden persönliche Dienstleistungen wie Besuche von Restaurants, Kinos oder Spas zusammengefasst. Standortbasierte Daten kommen zum Einsatz, um User*innen zum Kauf von Waren oder Dienstleistungen in lokalen Geschäften zu verleiten.

Lange wurde dieses Segment, dessen Volumen auf rund 200 Milliarden US-Dollar allein in China geschätzt wird, vom Unternehmen Meituan beherrscht, das die zwei größten Local-Lifestyle-Apps Chinas betreibt. Doch seitdem Bytedance seine Apps Douyin und – im asiatischen Ausland – Tiktok in diese Richtung ausgebaut hat, holt der Konzern mächtig auf. Gerade berichtete “The Information” (Paywall), dass Bytedance mit Local Services in Südostasien inzwischen einen Umsatz von 4,4 Milliarden US-Dollar generiert. Es sei zudem geplant, die E-Commerce-Aktivitäten auf die USA, Brasilien, Spanien und Australien auszuweiten.

Am Ende dürfte die übergeordnete Strategie von Bytedance vor allem darin bestehen, seine Kern-Apps Douyin und Tiktok zu dem zu machen, was WeChat bereits ist: eine Super-App, in die sämtliche Services beinhaltet, die die User*innen im Alltag benötigen. Dafür sprechen auch Bytedances zahlreiche (wenn auc bislang leidlich erfolgreiche) Bemühungen, Douyin zu einem sozialen Netzwerk auszubauen. Gerade wurde eine Desktop-App mit Chatfunktion gelauncht. Kommerziell wichtiger ist zunächst jedoch wohl die Expansion auf dem Feld der Local Services. gerade hat Bytedance nach Lieferdiensten nun auch Ridehailing-Angebote über sogenannte Miniprogramme direkt aus Douyin heraus buchbar gemacht.

Baidu, Alibaba und Tencent – die erste Generation der chinesischen Tech-Giganten – ist es gelungen, jeweils ein eigenes Ökosystem zu erschaffen. Bytedance ist sichtlich late to the party und wird es entsprechend schwer haben, den Vorsprung einzuholen, doch das Ziel scheint klar: Douyin und Tiktok sollen ebenfalls Super Apps werden.

Hier dürfte am Ende der große Unterschied zu den Tech-Riesen aus den USA liegen. Diese investieren ebenfalls massiv in die eigene Diversifizierung und neue Technologien, die das eigene Kerngeschäft gefährden oder gar ablösen könnten. Es ist bislang aber weder Google noch Meta oder Snap gelungen, die eigene Plattform zum Kern eines kommerziellen Ökosystems auszubauen, das die Bezeichnung als Super App rechtfertigen würde.

Christian Cohrs
Autor*In
Christian Cohrs

Editor & Content Strategist bei OMR und Host des FUTURE MOVES-Podcasts. Zuvor war er Redaktionsleiter des Wirtschaftsmagazins Business Punk in Berlin, Co-Autor des Sachbuchs "Generation Selfie".

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