„Karneval Vodka“ von Bonez MC und RAF Camora: Mit Youtube und Instagram zum Verkaufshit

Torben Lux13.8.2019

Ein Händler über seinen Online-Shop: "Es kommen Bestellungen im Sekundentakt rein. So etwas haben wir noch nicht erlebt."

Karneval Vodka Bonez MC RAF Camora Ausverkauft OMR Titel
Karneval Vodka Bonez MC RAF Camora Ausverkauft OMR Titel

Rund 4,8 Millionen Mal wurde das Musikvideo zu „Karneval“ seit der Veröffentlichung am 5. August aufgerufen. Mit dem Track wollen die Rapper Bonez MC und RAF Camora allerdings nicht ihrer Liebe zu Fasching und Fastnacht Ausdruck verleihen, sondern für ihre neue, gleichnamige Vodka-Marke werben. Mit Erfolg: Die Spirituose war kurz nach Release ausverkauft. Eine zweite, wenige Tage später versandte Charge soll ebenfalls bereits vergriffen sein. Wie die Musiker ihre Social-Media-Reichweite für den Aufbau neuer Brands nutzen, sie so monetarisieren und weshalb der „Karneval Vodka“ ein Marketing-Meisterstück ist, lest Ihr hier.

„Wo ist der Voddi? Bonez macht Story!“ – so der Anfang der Pre-Hook des Songs „Beste Leben“ von Bonez MC und RAF Camora. Im Juli 2018 hatte das Duo den Track veröffentlicht, nachdem sie über mehrere Wochen dutzende Teaser hochgeladen und einige Live-Performances auf Festivals gespielt hatten. Da der Track nicht einfach nur ein Sample nutzt – eine vor allem im Hip Hop gängige Technik, in der kurze Passagen eines bestehenden Songs, zum Beispiel eine eingängige Tonabfolge, wiederverwendet werden – sondern größtenteils aus dem Original, „Alors On Danse“ von Stromae, besteht, war es keine große Überraschung: Youtube sperrte das Video

Bonez MC und RAF Camora war das vermutlich egal. Oder anders: Genau so dürften sie es sich vorgestellt haben. Die sowieso schon enorme Aufmerksamkeit erhielt durch die Sperrung einen weiteren Schub, ein direktes kommerzielles Interesse verfolgten sie mit dem Track, den es nirgendwo zu kaufen gab, sowieso nicht, und bis heute ist „der verbotene Song“ Kult bei Fans und fester Bestandteil der Setlists bei Live-Auftritten. Promo kann so einfach sein. 

Schon seit Anfang 2018 ist ein eigener Vodka geplant

Ob die Zeile „Wo ist der Voddi?“ dabei eher Zufall oder ein clever platziertes Marketing-Easter-Egg war, wissen wohl nur die beiden Rapper selber. Zuzutrauen wäre dem Duo Letzteres aber auf jeden Fall. Immerhin beherrschen in den vergangenen zwei bis drei Jahren wohl kaum andere Künstler das Spiel mit der Aufmerksamkeit so gut wie der selbsternannte Social-Media-König Bonez MC, Kopf der Hamburger 187 Strassenbande, und sein Manager RAF Camora. Erfolgreichste deutschsprachige Hip-Hop-Tour, Streaming-Rekorde und neue Chart-Regeln in Österreich nach zu vielen Platzierungen sprechen da eine sehr deutliche Sprache. Erfolg in einer solchen Dimension kann doch kein reiner Zufall sein. 

Bonez MC Instagram Story Karneval Vodka RAF Camora OMR

Ausschnitt einer Instagram Story von Bonez MC von Anfang 2018.

Und rein vom zeitlichen Ablauf wäre ein gewollter Teaser auf den eigenen Vodka auch möglich. Bereits Anfang 2018 äußerte sich Bonez MC in einer Instagram Story zur eigenen Vodka-Marke. „JA, WIR BRINGEN EINEN VODKA AUF DEN MARKT!! WÄRE DUMM DAS GELD LIEGEN ZU LASSEN, ODER WAS MEINT IHR??“. Durchaus vorstellbar, dass Fans auf den Instagram-Profilen ihrer Idole in der Folge „Wo ist der Voddi?“ kommentierten – und diese die immer wiederkehrende Frage einfach aufgegriffen haben. Dass sogar das gesamte Projekt am Anfang eher eine Schnapsidee war, erklärte zuletzt auch RAF Camora auf Instagram. Demnach habe er die Idee erst durch die große Nachfrage ernstgenommen.

Von der Schnapsidee zum Bestseller

Dafür, dass „Karneval Vodka“ Anfangs nur nicht ernstgemeinter Quatsch, ein Hirngespinst, gewesen sein soll (vielleicht daher der Name?), machen Bonez MC und RAF Camora in den vergangenen Wochen dann aber so richtig ernst. Immer wieder gibt es Anspielungen und Hinweise auf Instagram. Hier kann Bonez zwei Millionen, RAF 1,6 Millionen Abonnenten vorweisen. Und natürlich hat auch der Vodka selber einen Instagram-Account; mit aktuell fast 90.000 Abonnenten. Laut InfluencerDB kommt das Profil aktuell auf eine Like-Follower-Ratio von enorm starken 19,1 Prozent. Derzeit sind nur zehn Fotos zu sehen, auf denen unter anderem der Freiheitsstatue, der 1996 gestorbenen Rap-Legende 2Pac und dem Schauspieler Dwayne „The Rock“ Johnson Vodka-Flaschen in die Hände gephotoshoppt wurden. Die Flaschen selber sind ebenfalls eine große, gezielte Inszenierung: mattes Glas, Glaskorken, bunter Aufdruck, wie für Instagram gemacht. 

Der ganz große Aufschlag startete dann aber am Montag vergangener Woche mit dem Release des Musikclips zum neuen Track „Karneval“ auf Youtube. Über 4,8 Millionen Views stehen bisher auf der Uhr. Produzent des Videos ist Shaho Casado, seit Jahren mit den Größen des deutschsprachigen Hip Hops unterwegs und für viele sicher die klare Nummer eins in diesem Bereich. Zu sehen sind Szenen der Live-Tour von Bonez und RAF (inklusive Polizeikontrollen und den üblichen Provokationen), die meisten Mitglieder der Strassenbande, die nicht minder erfolgreichen Hip Hopper Trettmann sowie Kontra K – und selbstverständlich zahlreiche Flaschen Vodka. 

„Wo ist der Voddi?“

Böse Zungen werden sagen, „Karneval“ sei ein überteuerter Werbeclip, und es handele sich sowieso um keine echte und/oder schlechte Musik. Fans des Duos dürften es feiern, sich über die Szenen der Tour freuen und den Song herunterladen, den es nicht auf Streaming-Plattformen gibt (Stand 13. August: über 80.000 Klicks auf den Bitly-Link, ein von RAF Camora auf Instagram geposteter Bitly-Link kommt auf 30.000 Klicks). Und neutrale Beobachter – zumindest geht es uns in diesem Moment ein wenig so – reiben sich vielleicht verwundert die Augen ob der mutmaßlichen Einfachheit dieses Marketing-Coups. 

Denn die Folge der Marketing-Offensive durch Bonez MC und RAF Camora war dann doch sehr vorhersehbar: ausverkauft, angeblich schon nach vier Minuten. 20.000 Flaschen sollen bereits am ersten Tag abgesetzt worden sein, wie Bonez in einem inzwischen wieder gelöschtem Instagram-Post schreibt: „20k Flaschen am ersten Tag verkauft!! Darauf waren wir nicht vorbereitet…Schade, dass man mit Vodka nicht charten kann.“ 20.000 Flaschen mit 0,5 Liter Vodka für jeweils 18,95 Euro – das wären 379.000 Euro Umsatz. Schon nach vier Minuten. In der Story von RAF ist sogar die Rede von über 20.000 Stück. Und die Fans fragen sich: „Wo ist der Voddi?“. 

RAF Camora Instagram Story Karneval Vodka Bonez MC OMR

Ausschnitt einer Instagram Story von RAF Camora, vier Tage nach Verkaufsstart vom „Karneval Vodka“.

Hohe Nachfrage – kein Angebot

Die Frage gilt bis heute. Denn auf der eigenen, natürlich ebenfalls unter dem Videoclip zu „Karneval“ verlinkten Webseite karnevalvodka.de, die dann zu karneval-vodka.shop weiterleitet, prangt immer noch ein Sold-Out-Stempel. Ein Restock vom Anfang der Woche soll laut raptastisch.net auch direkt wieder ausverkauft gewesen sein. Kommentare von Bonez MC und RAF Camora gibt es dazu allerdings nicht. Beide hatten lediglich bereits Ende vergangener Woche Fotos von der augenscheinlichen Produktion von „Karneval Vodka“ geteilt. 

Wie viel Traffic der Hype durch das Musikvideo in den vergangenen Tagen auf der Webseite generiert hat, lässt sich von außen ebenfalls nicht feststellen. Similarweb sowie Sistrix liefern für die offenbar noch junge Domain noch keine Daten. Einen groben Näherungswert erhält man lediglich durch die Klickzahl von rund 82.000 auf den Download-Link des Songs, der genau wie der Shop-Link unter dem Video eingebunden ist. 

„So etwas haben wir noch nicht erlebt.“

Wie groß die Nachfrage nach „Karneval Vodka“ wirklich war und immer noch ist, zeigt sich auch an der Situation bei Händlern, die die Spirituose zumindest zwischenzeitlich in ihrem Sortiment hatten. Ähnlich wie im eigenen Shop war das Kontingent auch hier schnell vergriffen – sicher auch dank der Hinweise in den Instagram Storys von „Karneval Vodka“ dazu, wo es die Spirituose noch zu kaufen gibt. Auch heute ist auf karnevalvodka.de der Menüpunkt „Händleranfragen“ verfügbar. 

„Dieser Artikel steht derzeit nicht zur Verfügung!“ – Auch bei xxl-drinks.de ist „Karneval Vodka“ immer noch ausverkauft.

Einer der Händler, der diese Chance offenbar genutzt hat und von der riesigen Nachfrage dann doch etwas überrascht war, ist xxl-drinks.de. Seit drei Jahren vertreibt das Unternehmen aus Seligenstadt bei Frankfurt am Main Spirituosen online. „Wir haben auch andere Merchandising-Getränke im Programm, beispielsweise von Rammstein, Motörhead oder auch Eintracht Frankfurt“, sagt Geschäftsführer Jorin Karner gegenüber OMR. „Die sind auch alle gefragt. Aber so einen spontanen Run wie aktuell haben wir noch nicht erlebt. Die Bestellungen kommen im Sekundentakt rein.“ Bereits wenige Minuten nach dem Hinweis in der Instagram Story von „Karneval Vodka“ war der Shop ausverkauft. Konkrete Zahlen zur Absatzmenge nennt Karner nicht. 

Die Unternehmen hinter der Spirituose

Obwohl Bonez MC und RAF Camora mit der Idee, ihren Namen und der riesigen Reichweite in offenbar genau der richtigen Zielgruppe wohl eindeutig den größten Anteil am Erfolg von „Karneval Vodka“ haben dürften, stehen hinter dem Projekt mehrere Unternehmen. Betreiber der Webseiten karnevalvodka.de und karneval-vodka.shop ist laut Impressum die 30° Merchandising GmbH. Unter 30grad.shop verkauft das Unternehmen Fanartikel vieler bekannter Gesichter aus der deutschsprachigen Rap- und Hip-Hop-Szene, unter anderem KC Rebell, Gringo und UFO361 (der übrigens auch ein echter Marketing-Fuchs ist, wie wir hier anhand seiner App erklärt haben). Und natürlich sind auf der Seite auch die Marken „Palmen aus Plastik“, so hießen zwei Alben von Bonez MC und RAF Camora, und „Team Platin“, die aus den Platinerfolgen des gerade genannten Kollaborationsprojekts der beiden Rapper hervorging, gelistet. 

Betreiber des für die zweite Marke extra gestarteten Online-Shops teamplatinshop.de ist ebenfalls die 30° Merchandising GmbH. Es ist also ganz offenbar nicht die erste engere Zusammenarbeit mit Bonez MC und RAF Camora. Gesellschafter sind mit Karsten Scholz, Adrian Menzel und der egocentric GmbH allesamt Parteien, die im Bereich Merchandising (und da vor allem Textilien) schon länger recht umtriebig sind. Während eine Mail an die im Impressum von karneval-vodka.shop hinterlegte Adresse gar nicht erst zugestellt werden konnte („Die Adresse wurde nicht gefunden“), blieb eine Anfrage an 30grad.shop unbeantwortet. 

Viel Marketing-Know-How, wenig Schnapsbrenn-Wissen?

Ein weiteres Unternehmen, das auf der Webseite von „Karneval Vodka“ nicht aufgeführt sind, taucht erst auf, wenn man bei dritten Händlern wie xxl-drinks.de nach Angaben zum Lebensmittelunternehmen hinter der Spirituose sucht. Demnach zeichnet sich die Like This GmbH aus Frankfurt am Main verantwortlich. Die offenbar extra für „Karneval Vodka“ gegründete Firma – eine einfache Google-Suche nach dem Unternehmens-Namen liefert quasi keine Ergebnisse – weist erst seit Anfang Juli 2019 einen Eintrag im Handelsregister auf. Gesellschafter sind demnach zu gleichen Teilen Christian Pfeffer, außerdem auch Gesellschafter und Geschäftsführer bei der Social Media & Brand Agency RED 5 GmbH, und Waldemar Kies, zusätzlich Geschäftsführer von Famefabrik, einer Agentur für Bewegtbildkommunikation.

Karneval Vodka Webseite Ausverkauft Bonez MC RAF Camora OMR

Der Sold-Out-Stempel auf der Webseite karneval-vodka.shop.

Die bürgerlichen Namen von Bonez MC und RAF Camora, John Lorenz Moser und Raphael Ragucci, tauchen wenig überraschend nicht auf. Fragen nach dem Zustandekommen der Zusammenarbeit mit den beiden Rappern, der Produktion des Vodkas (außer Deutschland als Herkunftsland ist bisher wenig bekannt) und weiteren, wirtschaftlichen Details blieben bis jetzt unbeantwortet. Es sei aktuell zu viel los und man müsste die Antworten auch noch abstimmen. 

Trittbrettfahrer und andere Profiteure

Neben dem offiziellen Shop und einigen Spirituosen-Händlern hatten auch mindestens zwei Amazon-Händler den „Karneval Vodka“ zwischenzeitlich im Angebot. Obwohl der Instagram-Account einen davon sogar verlinkt hatte, darf bezweifelt werden, dass er vom Team rund um Bonez und RAF betrieben wird. Denn: Hier kostete eine Flasche des Vodkas mit 29,99 Euro mehr als zehn Euro mehr als die Preisempfehlung. Und auch das Angebot des zweiten Händlers (18,99 Euro statt 18,95 Euro) wirkt insgesamt nicht professionell. 

„Die Tracking-Daten zeigen, dass beide Händler kurzzeitig mit einem sehr guten Sales-Rank unterwegs waren“, sagt Hannes Detjen, Geschäftsführer der Amazon-Agentur Remazing, gegenüber OMR. Zwischenzeitlich waren beide Anbieter beispielsweise unter den ersten zehn in Amazons Bestseller-Liste „Bier, Wein & Spirituosen“ vertreten. Diese Rankings hätten allerdings nichts mit guten Amazon-Kenntnissen zu tun. „Ein Sprung auf so hohe Plätze auf Anhieb ist zwar insgesamt sehr beachtlich“, sagt Detjen. „Das liegt aber allein an der großen Fanbase. Eine Optimierung der Produktlistings wurde nämlich nicht vorgenommen.“

Auf Ebay bieten Nutzer aktuell bis zu 90 Euro pro Flasche „Karneval Vodka“.

Auch auf Ebay gibt es inzwischen mehr als ein dutzend Angebote, bei denen sich Nutzer erhoffen, mit dem überall ausverkauftem Vodka ein paar Euro dazuzuverdienen. Die Rechnung scheint aufzugehen: Bei einer Auktion mit insgesamt 34 Geboten liegt das höchste aktuell bei 90 Euro – fast das fünffache des Originalpreises. 

Und was ist mit Jugendschutz?

Die größten Profiteure bleiben aber am Ende Bonez MC und RAF Camora. Egal, wie groß der direkte wirtschaftliche Erfolg des Vodkas für das Duo sein wird, egal, wer alles daran mitverdient. Sie haben es zum wiederholten Male geschafft, eine Aufmerksamkeit zu erzeugen, die kaum in Mediawert aufgewogen werden kann. Trotz berechtigter Bedenken, ob Vodka bei der eher jungen Zielgruppe das passende Merch-Produkt ist (obwohl das beim Shisha-Tabak der Strassenbande, angeblich dem erfolgreichsten in Europa, auch niemanden zu stören scheint). Das alles übrigens mitten in der Promophase zur Zusatztour von „Palmen aus Plastik 2“ – bei der wieder tausende Fans „Wo ist der Voddi?“ schreien werden. 

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Torben Lux
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Torben Lux

Torben ist seit Juni 2014 Redakteur bei OMR. Er schreibt Artikel und Newsletter, plant das Bühnenprogramm des OMR Festivals, arbeitet an der "State of the German Internet"-Keynote, betreut den OMR Podcast und vieles mehr.

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