Warum es ein Fehler sein könnte, Amazon-Werbung abzuschalten – die Branche diskutiert

Martin Gardt16.7.2019

Wir hatten über Amazon-Händler berichtet, die ihre Werbung auf der Plattform abgeschaltet haben. Das Feedback war enorm.

Amazon-Werbung Pro
Amazon-Werbung Pro

Vor etwas über einer Woche hatten wir über Amazon-Händler geschrieben, die ihre Werbemaßnahmen auf der Plattform fast oder komplett eingestellt haben – ohne negative Effekte. Daraufhin gab es viel Feedback aus der Branche: Händler und Agenturen warnten davor, diesen Vorbildern zu folgen. Wir haben ein paar Stimmen gesammelt, die sich klar für Werbung auf Amazon aussprechen – ein kleines Kontra zum letzten Artikel also. Hier lest Ihr die Gründe.

Nur zur Erinnerung: In unserem Artikel vom 5. Juli erzählt Christian Otto Kelm, Leiter der Produktentwicklung beim Amazon-Analyse-Tool Amalyze, dass er Werbung auf Amazon für massiv überbewertet hält. Er testet seine Vermutung mit einem Kunden und spürt keine negativen Auswirkungen durch das Abschalten von Werbung auf Amazon. Weitere 30 Händler machen ähnliche Erfahrungen und zwei davon erzählen auch in unserem Artikel davon. Kelm kritisiert vor allem, dass Amazon als wichtige Kennzahl den Advertising-Cost-of-Sale („Werbekosten anhand des Umsatzes“) ausgebe, der von vielen Händlern fehlerhaft gedeutet werde. 

Schon in diesem Artikel macht Kelm deutlich, dass er es trotzdem für sinnvoll halte, auf Amazon Werbung zu schalten – als Schutz gegenüber Wettbewerbern und bei Neueinführungen von Produkten. Tim Nedden von der Amazon-Agentur finc3 verteidigt Amazon-Werbung und geht davon aus, dass diese immer wichtiger werden wird. Trotz dieser einordnenden Stimmen, kommen viele Händler und Agenturen auf uns zu, die einzelne Punkte in der Argumentation rund um das Abschalten von Amazon-Werbung widerlegen wollen – sicherlich nicht immer ohne Eigeninteressen, aber deshalb nicht weniger Teil der Diskussion.  

„Warum sollte man bewusst auf Gewinne verzichten?“

„Nie blind anderen vertrauen. Testen, auswerten und Rückschlüsse ziehen“, sagt der Geschäftsführer von Geschenke24.de Uwe Hamann gegenüber OMR. Er macht mit seinem Unternehmen mehrere Millionen Euro Umsatz pro Jahr auf Amazon und verkauft in etwas größerem Volumen seine Produkte auch auf der eigenen Webseite. Jeden Monat erziele er vier- bis fünfstellige Verkäufe über seine geschalteten Amazon-Ads. Was passieren würde, wenn Hamann diese ausschaltet? „Wir würden direkt weniger Umsatz und Marge erzielen und dadurch nach und nach noch weniger Umsatz und Marge. Warum sollte man bewusst auf Gewinne verzichten?“, sagt er. „Wenn die Werbung nicht gut eingestellt ist, was ich leider bei diversen Händlerkonten gesehen habe, die selbst durch die Händler oder Agenturen gemanaged werden, verstehe ich, warum Händler mehr verdienen, wenn sie die Werbung abschalten.“

Uwe Hamann

Uwe Hamann

Er verstehe insgesamt Händler, die Amazon-Werbung kritisch gegenüber stünden: „Sie sparen Zeit und Werbekosten, haben weniger Retouren, benötigen weniger Support und Logistikleistung und haben am Ende vielleicht etwas weniger Umsatz aber zusammengerechnet mehr Gewinn.“ Aus seiner Sicht gerate ein Händler, der die Werbemöglichkeiten auf Amazon ignoriere, in einen Abwärtsstrudel aus immer weniger Sichtbarkeit und Verkäufen. „Mehr Amazon Werbung bedeutet, dass mehr Besucher mit der eigenen Marke, sowie den Produkten der eigenen Marke, in Berührung kommen. Wenn potentielle Käufer Preise vergleichen, erst bei Amazon suchen und ein Produkt deiner Marke finden, können sie über Preisvergleiche zum eigenen Shop kommen. Wir haben über den Weg schon Umsätze für ein Produkt im Shop verdreifacht bis verfünffacht. Das macht schon Spaß“, so Hamann.

Verschiedene Kennzahlen und Branding-Effekte

Auch Uwe Hamann glaubt, dass die Kennzahl Advertising-Cost-of-Sale (ACOS) nur zum Teil wiedergibt, wie erfolgreich Kampagnen bei Amazon laufen. „Der ACOS ist eine Kennzahl, die wir berücksichtigen. Allerdings sollte man einige Kennzahlen mehr berücksichtigen. Jeder sollte wissen, wie viel Marge er je Produkt hat, wie stark der Wettbewerb ist, wie das Preis-Leistungsverhältnis ist, wie viel Marge ich direkt durch die Werbung innerhalb von Amazon erziele und wie viel Marge noch einmal organisch dazu kommt“, sagt er. „Ebenso sollte man berücksichtigen, wie sich das Bewerben eines Produktes auf die Verkäufe der über das Cross-Selling verknüpften Produkte auswirkt aber auch, wie sich die gesamte Verkäuferleistung verändert. Bei retourenstarken Produkten bringen viele günstige Sales über die Werbung auch nur bedingt Erfolg. Hier sollte man ganz genau ausrechnen, wie hoch die Retourenquote ist und wie viel Marge am Ende wirklich übrig bleibt.“ Er optimiere mit einem kleinen Team alle Kampagnen auf Amazon selbst.

Gleichzeitig sollten Händler aus Hamanns Sicht nicht die möglichen Branding-Effekte außer Acht lassen, die Amazon-Werbung erzielen könne. „Für uns war Amazon von 2015 bis 2017 ein Branding-Kanal für den Shop. Mittlerweile geht es um die reine Performance, aber auch das Brandbuilding sollte man nicht vernachlässigen. Wenn man bei gewinnbringender Werbung zusätzlich jeden Monate eine nette zweistellige Millionensumme in Form von Logo-Einblendungen dazu geschenkt bekommt, nehmen wir das mit.“ 

Erklärungssuche bei Sellics

Soweit also zu den Tipps eines Amazon-Händlers, der seine Kampagnen auf gar keinen Fall ausstellen würde. Warum aber haben sich bei einigen Händlern so gar keine negativen Auswirkungen gezeigt, als sie genau diesen Schritt gegangen sind? Denis Klug, Geschäftsführer von vanVerden, sagt im Artikel sogar: „Das Erschreckende war, dass zuerst gar nichts passiert ist. Nach drei bis vier Wochen sind unsere Verkäufe sogar um zehn Prozent gestiegen.“ Franz Jordan, CEO bei Sellics, einem Amazon-Analysetool mit angeschlossener Agentur, sieht verschiedene mögliche Faktoren, warum das Abschalten von Werbung für die Händler keine negativen Folgen hatte. Er vermutet, dass die Werbung nicht richtig optimiert gewesen sein könnte – eine Erklärung, die auch viele andere Experten hatten, mit denen wir gesprochen haben. Gleichzeitig halte er die im ersten Artikel zu Wort kommenden Händler für sehr fähig.

Franz Jordan

Franz Jordan

Weitere Möglichkeiten seien saisonale Effekte, also dass die Händler ihre Werbung in einer Phase mit wenig Verkaufsvolumen aktiviert und in einer nachfragestarken Phase abgestellt hätten. Vielleicht sei es auch zu einer Verschiebung innerhalb des Sortiments gekommen, Werbung auf ein Produkt sei gestoppt und ein anderes Produkt dafür umso stärker beworben worden. Auch bei Produkten, die bereits ein extrem starkes organisches Ranking aufweisen, sei der Werbeeffekt sehr gering. Und zuletzt könne auch fehlender Wettbewerb auf ein Produktkeyword dazu geführt haben, dass negative Auswirkungen ausblieben. 

„Ich kann von meiner Seite sagen, dass die meisten unserer Tausenden von Kunden mittlerweile 30 bis 50 Prozent ihres gesamten Umsatzes über Werbung machen, Tendenz steigend“, so Franz Jordan zu OMR. „Wenn man darüber hinaus bedenkt, dass der Anteil von Werbung bei Amazon immer größer wird, fällt es mir schwer zu glauben, dass Werbung keine Wirkung hat.“ 

Das ACOS-Problem 

Auch Alexander Nelkenstock, Director Sales bei Xingu, einem Dienstleister für Analyse und Steuerung von Amazon-Kampagnen, glaubt an eine steigende Relevanz von Werbung auf der Plattform: „Erstens sprechen Amazons Layout-Anpassungen der letzten Monate, die organische Suchergebnisse in einigen Auflösungen komplett below the fold verschieben, eine eindeutige Sprache“, so Nelkenstock gegenüber OMR. „Zweitens führen ständig steigender Werbedruck und zusätzliche Features der Amazon Advertising Plattformen dazu, dass es zunehmend schwieriger wird, Rankings mit einer rein organischen Strategie zu halten. So ist es beispielsweise seit einigen Wochen möglich, gezielt potentielle Kunden von direkten Wettbewerbern zu remarketen, bevor ein Kauf des Konkurrenzprodukts stattgefunden hat.“

Alexander Nelkenstock

Alexander Nelkenstock

Auch Nelkenstock sieht in der Konzentration vieler Händler und Agenturen auf den ACOS (Advertising-Cost-of-Sale) das Hauptproblem. „Im ersten Schritt sollten die Händler auf den Promoted ACOS und nicht auf den Total ACOS optimieren. Letzterer wird im Sponsored Ads Account dargestellt und ist unserer Meinung nach einer der Gründe, warum viele Advertising-Entscheidungen auf einer falschen Basis getroffen werden“, sagt er. „Dieser Wert ist deswegen so problematisch für die Bewertung des Kampagnenerfolgs, weil Amazon nach einem Klick Sales aus der gesamten Produktpalette des Händlers attribuiert.“ Wenn also Samsung ein Smartphone mit einer Produktkampagne auf Amazon bewirbt, würden alle Käufe von Samsung-Smartphones, die auf einen Kontakt mit der Kampagne folgen, genau dieser zugerechnet. 

Was Händler tun können

„Reine ACOS-Strategien führen implizit eher zu einer wachstumsaversen Ausrichtung, da Budgets eher auf brandnahen Suchen allokiert werden. Hier ist die Conversion-Wahrscheinlichkeit hoch und der damit verbundene ACOS tendenziell entsprechend niedrig“, so Nelkenstock. Der Drang zur Optimierung führt für manche Händler also in die falsche Richtung.

Auf die Frage, was ein Händler tun kann, der seine Amazon-Werbung ausschaltet und keine negativen Effekte spürt, sagt Nelkenstock: „Über die geschilderte ACOS Betrachtung hinaus, empfehlen wir allen unseren Kunden eine ROI Betrachtung. Die Berechnung ist dabei etwas schwierig, da Daten aus beiden Werbeplattformen (Amazon DSP und Sponsored Ads) den Retail-Daten gegenüber gestellt werden müssen. Dies ist zunächst mit nicht unerheblichem technischen Aufwand verbunden, jedoch langfristig die Voraussetzung für jegliche Strategie zur Budgetallokation.“ 

Am Ende müsse jeder Händler einen Mittelweg zwischen kurzfristiger ACOS-Optimierung und langfristiger Wachstumsstrategie finden. „Als Verkäufer versuche ich dann mit geringstmöglichen Budget einen Großteil der Brandsuchen abzudecken, um auf der anderen Seiten Wachstum über Konkurrenzprodukte und generische Suchen zu generieren. Die Wachstumsstrategie fahre ich dann solange bis mein ROI nicht mehr positiv ist. Alles darüber hinaus sind dann strategische Marketingmaßnahmen, um Produkte mittelfristig besser auf der Plattform zu platzieren“, sagt er.

Amazon-Werbung einfach zu komplex?

Marcel Pirlich

Marcel Pirlich

„Die Komplexität des Advertisings bei Amazon ist in den letzten Monaten massiv größer geworden“, sagt Marcel Pirlich, CEO der Bidmanagement GmbH, die mit Adspert ein Bidmanagement-Tool unter anderem für Amazon anbietet. Die Anforderungen allgemein: Die Auswahl und das permanente Aktualisieren der richtigen Suchbegriffe und dann der Verkaufsmechanismus bei Amazon: „Werbung wird an den Höchstbietenden versteigert. Und dieser Prozess erfordert eher statistische Kompetenzen als kreative“, so Pirlich. 

Der Aufwand für die Komplexität des Advertising stehe häufig nicht mehr im richtigen Verhältnis zum Ergebnis. „Diese Zeit kann besser für Strategie und Kreativmaßnahmen eingesetzt werden. Oder andere Promotion-Möglichkeiten wie Lightning Deals“, sagt Pirlich. „Manuell ist da wenig auszurichten. Mehrere Millionen Gebote sind bei großen Volumina inzwischen nötig, um das Optimum herauszuholen. Nur so ist eine erhöhte Profitabilität bei Amazon zu gewährleisten.“ 

Ein ganzes Ökosystem hängt dran

Wie sich an diesen Stimmen zeigt, hängt mittlerweile auch in Deutschland ein großes Ökosystem aus Agenturen und Tools an der Wirkung von Amazon-Werbung. Kein Wunder, dass aus diesen Ecken der lauteste Protest gegenüber einem Abschalten von Ads auf der Plattform zu vernehmen war. Franz Jordan wolle jetzt aufgrund unseres Artikels gemeinsam mit einem Kunden selbst testen, was die Auswirkungen sind und die Ergebnisse dann detailliert mit OMR teilen. 

Was sich in den vielen Gesprächen mit Händlern, Agenturen und Experten gezeigt hat: Eigentlich sind sich alle einig, dass es derzeit für Händler, die keine Werbung auf Amazon schalten, noch funktionieren kann auf der Plattform. Aber lange dürfte das bei den Bestrebungen des Unternehmens nicht mehr gut gehen.

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Autor*In
Martin Gardt

Martin kümmert sich vor allem um neue Artikel für OMR.com und den Social-Media-Auftritt. Nach dem Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft ging er zur Axel Springer Akademie, der Journalistenschule des Axel Springer Verlags. Danach arbeitete er bei der COMPUTER BILD mit Fokus auf News aus der digitalen Welt und Start-ups. Am Wochenende findet Ihr ihn auf der Gegengerade im Millerntor.

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