Trotz Publishing-Krise: Culture Trip sammelt 80 Millionen US-Dollar Funding ein

Torben Lux7.5.2018

Diese europäische Travel-Seite wächst gegen den Trend

The Culture Trip Finanzierung OMR
The Culture Trip Finanzierung OMR

Reichweitenbrüche, Entlassungen und nach wie vor Monetarisierungsprobleme – aus der digitalen Publishing-Branche war zuletzt größtenteils Negatives zu vernehmen. Umso mehr lässt die jüngste Finanzierungsrunde eines europäischen Publishers aufhorchen: Der 2011 in London gegründete Travel-Publisher „Culture Trip“ erhält in einer Serie-B-Runde 80 Millionen US-Dollar frisches Kapital. OMR stellt das junge und hierzulande noch recht unbekannte Startup vor und erklärt, wie das Unternehmen jetzt zur digitalen Reiseagentur werden will. Nach vielen Jahren des Wachstums ist in der Digital-Publishing-Branche mittlerweile die Ernüchterung eingezogen. Zuletzt musste der US-Viral-Publisher Littlethings (hier das OMR-Porträt) im Februar seinen Betrieb einstellen. Der Grund: Die organische Reichweite von Littlethings bei Facebook (Haupt-Traffic-Quelle des Publishers) war wegen Veränderungen am Algorithmus massiv eingebrochen. Im April kaufte der Gaming-Publisher Rockyou Media zwar Littlethings auf und brachte die Seite zurück ins Netz – allerdings mit nur einem Viertel der bisherigen Belegschaft. Es ist nicht die einzige Negativmeldung aus der Branche: In den Monaten zuvor war in den Branchenmedien bereits von Entlassungen bei Vox, Refinery29, Buzzfeed, aber auch bei europäischen Publishern berichtet worden.

Inmitten dieser Krise hat die Reise-Seite The Culture Trip ihre Reichweite nach eigenen Angaben innerhalb von etwa anderthalb Jahren fast verdoppeln können: Von Ende 2016 sei die Zahl der Unique User von vier auf aktuell 13 Millionen gestiegen, heißt es auf der About-Seite des Unternehmens. Ein beachtliches Wachstum im extrem kompetitiven Reise-Markt, das noch mehr beeindruckt, wenn man sich die Traffic-Entwicklung vergleichbarer Travel-Publisher anschaut: Die Reichweiten von Portalen wie beispielsweise fodors.com, cntraveller.com und sogar Dickschiffen wie timeout.com stagnieren oder sinken sogar. Timeout verzeichnet nach Schätzungen von SimilarWeb derzeit zwar noch mehr Unique User. Doch sollte sich die jüngste Entwicklung fortsetzen, ist es durchaus denkbar, dass Culture Trip den großen Konkurrenten mittelfristig einholt. Was macht Culture Trip also anders und so erfolgreich, dass die PPF Group aus den Niederlanden nach der Serie-A-Runde im Oktober 2016 in Höhe von 20 Millionen US-Dollar auch die aktuelle Serie-B-Runde in Höhe von weiteren 80 Millionen US-Dollar anführt?

Der Traffic-Verlauf der vergangenen 24 Monate für theculturetrip.com, fodors.com, cntraveller.com, roughguides.com und timeout.com nach Schätzungen von SimilarWeb

Von der Akademiker-Karriere zum Startup-Gründer

Hinter Culture Trip steht der Belgier Kris Naudts, promovierter und mehrere Jahre praktizierender Psychiater. Nachdem ihn die akademische Laufbahn anfängt, zu langweilen, beginnt er 2010 nach Alternativen zu suchen. “I’ve always loved storytelling and culture, and I’ve always wanted to build something“, erklärt er gegenüber Techcrunch. Die Idee für eine auf Kulturen der ganzen Welt fokussierte Website ist geboren. Anfang 2011 geht er mit theculturetrip.com an den Start.

Die erste feste Mitarbeiterin Ewa Zubek lernt Naudts kurz darauf zufällig in Brüssel kennen. Als sie ihm von ihrem Traum, Schreiberin zu werden berichtet, stellt er sie als freie Mitarbeiterin ein. Offenbar leistet Zubek gute Arbeit: Nachdem Naudts Mitte 2015 ein Seed-Funding von zwei Millionen US-Dollar einsammelt, befördert er sie zur Chefredakteurin. Zu diesem Zeitpunkt steuert sie bereits 30 Freelancer auf der ganzen Welt, die Content für das Portal erstellen.

Ewa Zubek analysiert auch den Traffic und wertet aus, welche Themen besonders gut funktionieren. Vor allem Artikel zu Restaurant-Tipps, lokalen und weniger bekannten Attraktionen und Orten seien überdurchschnittlich erfolgreich gewesen. Mit dieser Erkenntnis ändert sich die inhaltliche Ausrichtung immer stärker hin zu konkreten Empfehlungen und Geheimtipps für beliebte Reiseziele.

Weltweites Freelancer-Netzwerk liefert Content

Aus den anfänglichen 30 Freelancern sind inzwischen 330 freie Mitarbeiter geworden, die von der ganzen Welt direkt vor Ort Content liefern. Und der besteht längst nicht mehr nur aus klassischen Artikeln. Ewa Zubek, heute Social Media Director, gibt Themen Plattform-spezifisch in Auftrag – je nachdem, was bei den Lesern gerade besonders gut ankommt. Auf Facebook würden beispielsweise Videos aus der Ego-Perspektive am besten funktionieren, auf Instagram seien Drohnen-Aufnahmen sehr beliebt. „The videographers are based in 30 countries around the world,” sagt sie im Gespräch mit Simon Owens bei blog.markgrowth.com. „We can get original video that nobody else has and edit that into great social videos.“

Aktuell werden nach dem Modell laut Kris Naudts 3.000 neue Artikel pro Monat veröffentlicht. Ingesamt seien es seit dem Start 2011 schon rund 75.000 gewesen. Setzt man diese Zahl ins Verhältnis zum bisher aufgenommenen Kapital in Höhe von 102 Millionen US-Dollar, ergibt das einen „Wert pro Artikel“ von 1.360 US-Dollar. Zugegeben: Das ist kein gängiger KPI. Es drückt aber dennoch ganz gut aus, wie lukrativ ein für die Zielgruppe funktionierendes Freelancer-Netzwerk sein kann. Wo kommen aber die zuletzt 13,12 Millionen Visits pro Monat her? Und wer genau ist die Zielgruppe von Culture Trip?

SEO-Traffic statt Social Clickbait für Millenials

Ein vor allem Anfangs hilfreicher Hebel, um die Reichweite von Culture Trip zu erhöhen, waren Artikel über Restaurants. Ewa Zubek zufolge habe das Team die Besitzer jedes Mal auf die Erwähnungen hingewiesen: „They’d be like, ‘I can’t believe you wrote about us. You wrote about our city, this is so amazing. We’re going to share this.’ And they’d share it with their network.”

Laut dem Statistikdienst Similar Web kam im vergangenen März über 83 Prozent des gesamten Traffics auf theculturetrip.com durch SEO zustande; knapp acht Prozent haben die Seite direkt angesteuert, 7,9 Prozent sind über soziale Netzwerke auf der Website gelandet. Die Zielgruppe bestehe vor allem aus Millennials. Auch das bestätigen die Daten von Similar Web: Fast 57 Prozent aller Nutzer seien demnach unter 35 Jahre alt. Nach Schätzungen von SimilarWeb stammen 25 Prozent der Nutzer aus den USA, 13 Prozent aus Großbritannien.

Die Traffic-Quellen für theculturetrip.comim März 2018 (zum Vergrößern klicken, Quelle: similiarweb.com)

Der Suchmaschinen-Erfolg zeigt sich auch im SEO-Tool Sistrix. Zu mehr als 1.300 Keywords ist Culture Trip in den USA auf der ersten Suchergebnisseite bei Google vertreten. Darunter Suchanfragen wie „calgary club“, „williamsburg cheap“, „park tokyo“ und „garden rome“, die laut Sistrix viel Traffic verzeichnen . Auch die Entwicklung des Sichtbarkeitsindex kann sich sehen lassen: Innerhalb von zwei Jahren hat sich diese Kennzahl in etwa versiebenfacht.

Die Entwicklung des Sichtbarkeitsindex von theculturetrip.com in den USA (zum Vergrößern klicken, Quelle: Sistrix.com)

Trotz geringer Traffic-Relevanz Millionen Fans und Follower

Die Social-Media-Profile von Culture Trip mögen zwar eine deutlich geringere Relevanz für den Website-Traffic haben. Trotzdem kann sich die Summe der Fans und Follower sehen lassen. Auf Facebook haben knapp 5,1 Millionen Reisefans ein Like hinterlassen, bei Instagram sind es knapp über 281.000 Abonnenten, die sich auf drei Accounts verteilen („culturetrip„, „culturetripfood“ und „culturetripbooks„), der Twitter-Account kommt auf 123.000 Follower, rund 93.000 User haben Culture Trip bei Pinterest abonniert.

Auf allen Kanälen veröffentlicht Culture Trip, meistens parallel oder zusätzlich zu Artikeln auf der Website, Native-Advertising-Inhalte – aktuell die Haupteinnahmequelle des Unternehmens. Bei einem Deal mit einem europäischen Tourismusverband seien laut Ewa Zubek beispielsweise 80.000 Leser für den Artikel und 100.000 Views auf ein Facebook-Video als Zielvorgabe vereinbart worden. Das endgültige Ergebnis: 100.000 Leser und 1,6 Millionen Views. „We delivered an amazing result, and the brand has come back this year and said, ‘let’s work with you again because we loved it.’”

Nächste Haltestelle: Online-Reisebüro

Der zweite Umsatzbringer ist das Platzieren von Affiliate-Links zu Reiseveranstaltern, Hotels & Co. Wichtigster Partner dabei bislang: die zu Expedia gehörende Seite Hotels.com. Bucht ein Nutzer nach dem Lesen eines Artikel über den Referral-Link, erhält Culture Trip eine Provision. Auf klassische Display-Ads und Banner verzichtet das Portal inzwischen komplett.

Noch in diesem Quartal will Culture Trip eine dritte Einnahmequelle erschließen. Künftig wollen die Seitenbetreiber auch als Online-Reisebüro („Online Travel Agency“, OTA) agieren und auf der Seite direkt Buchungen anbieten. Inhalte und Verfügbarkeiten sollen vom Software-Anbieter Digital Trip kommen, Culture Trip agiert als Händler und übernimmt die Abwicklung und den Kundenservice, wie es bei Phocuswire heißt.

Tschechische Millionen für Culture Trip

Dabei wolle Culture Trip nicht Hunderte von Hotels einbinden, sondern nur händisch ausgewählte, die zur Seite und ihrem Publikum passen. Mit einer ähnlichen Strategie war bereits die britische Seite Mr. and Mrs. Smith (Gründerin Tamara Lohan sprach im vergangenen Jahr auf dem OMR Festival) erfolgreich. Der nächste Schritt für Culture Trip könnte dann die Erweiterung eines Flugbuchungs-Portals sein, so Anthony Anderson, Director of Product Monetization, gegenüber Phocuswire.

Vermutlich waren es auch solche Wachstumsperspektiven, die Investoren davon überzeugt haben, in der Series-B-Runde weitere  80 Millionen US-Dollar in Culture Trip zu stecken. Insgesamt soll Culture Trip bislang 102 Millionen US-Dollar eingesammelt haben. Lead-Investor ist die PPF Group: ein Finanzkonzern mit Hauptsitz in den Niederlanden, der sich im Besitz des tschechischen Milliardärs Petr Kellner befindet. Vor der jüngsten Runde soll sich Culture Trips Bewertung laut einem Forbes-Artikel auf 54 Millionen britische Pfund (rund 61 Millionen US-Dollar) belaufen haben. Die aktuelle Bewertung ist nicht bekannt, könnte aber durchaus bei über 400 Millionen US-Dollar liegen.

Ex-Facebook- und Youtube-Manager sollen das Geschäft pushen

Gegenüber Forbes hatte Gründer Kris Naudts bereits vor der jüngsten Funding-Runde Akquisitionen und sogar einen IPO nicht ausgeschlossen. In diesem Jahr wolle er zudem die Marke von 400 bis 500 festen und 1.000 freien Mitarbeitern knacken. Dabei hat Naudts bereits branchenprominente und erfahrene Mitstreiter gewonnen: CMO Michael Fox war von 2009 bis 2014 Director of Marketing bei Facebook, der Chief Revenue Officer Dick Soule von 2013 bis 2015 Global Head of Sales bei Youtube und Monetarisierungschef Anthony Anderson hatte zuvor für mehrere Jahre die Produktentwicklung bei der britischen Taxi-App Hailo geleitet (mittlerweile von Daimler übernommen und Teil von Mytaxi).

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Torben Lux
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Torben Lux

Torben ist seit Juni 2014 Redakteur bei OMR. Er schreibt Artikel und Newsletter, plant das Bühnenprogramm des OMR Festivals, arbeitet an der "State of the German Internet"-Keynote, betreut den OMR Podcast und vieles mehr.

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