Warum Birkenstock eine Supreme-Collabo abgesagt hat und keine Geschäfte mit Amazon macht

CEO Oliver Reichert im Interview beim OMR Festival 2019 über die Renaissance der Marke Birkenstock

Oliver Reichert, CEO der Birkenstock Group
Oliver Reichert auf der Big Picture Stage des OMR Festivals 2019 in Hamburg

800 Millionen Euro Umsatz will die Birkenstock Group im laufenden Geschäftsjahr erwirtschaften. Die Schuhmarke hat in den zurückliegenden fünf Jahren eine rasante Renaissance erlebt, das Familienunternehmen dahinter einen enormen wirtschaftlichen Erfolg. Was sind die Gründe dafür? Beim OMR Festival erklärte CEO Oliver Reichert, in welchen Bereichen er das Unternehmen umgekrempelt hat und warum zur Markenpflege manchmal auch kontroverse Entscheidungen gehören.

40 Einzelgesellschaften findet der ehemalige TV-Manager (u.a. DSF) Oliver Reichert vor, als er 2013 gemeinsam mit seinem Co-CEO Markus Bensberg die Führung der Birkenstock Group übernimmt. „Die Prozesse waren Free Jazz. Jeder hat ein Musikinstrument mitgebracht und ein bisschen gejammt. Da kamen dann Töne raus, aber meistens klang es grausam“, so der Manager im Interview. In den folgenden Jahr reduziert Reichert die Zahl der Gesellschaften; auch um Prozesse besser zentral steuern zu können. „Wir haben ein bisschen versucht, eine Bassline reinzubringen.“

Distribution ist für die Marke entscheidend

Zurr Restrukturierung gehört auch, eine Lösung dafür zu finden, dass die drei Inhaber-Brüder unterschiedliche Ansichten über die zukünftige Strategie des Unternehmens haben. Medienberichten zufolge sollen Alex und Christian Birkenstock ihren Bruder infolgedessen aus dem Unternehmen herausgekauft haben; beide haben jeweils einen der beiden aktuellen CEOs eingesetzt. Heute befinde sich die Firmengruppe immer noch zu 100 Prozent Familienbesitz, so Reichert. „Aber die Familie ist auf eine Gesellschafterrolle reduziert, und die operativen Geschäfte laufen aus der Unternehmung.“

Ein wichtiger Schritt vor dem Comeback sei es für das Unternehmen gewesen, die Distribution der eigenen Produkte wieder stärker in die eigenen Hände zu nehmen. „Wir wollen die Türen, hinter denen unsere Produkte liegen, besser kontrollieren“, so Reichert. „Das global auszusteuern und möglicherweise in manchen Territorien wieder selbst aktiv zu werden, das ist für eine Marke heutzutage extrem wichtig.“

Ein Startup mit Tradition

Gleichzeitig habe er eine Firmenkultur etabliert, die wie ein Widerspruch klingt: „Wir führen die Marke wie ein Startup mit 245 Jahren Tradition“, sagt der CEO. „Das hört sich komisch an, aber ich habe meinen Mitarbeitern von Anfang an gesagt: Damit alles so bleibt, wie es ist, müssen wir alles ändern.“ Zu dieser Startup-Attitüde gehöre ebenfalls, alles zu hinterfragen. „Man muss dann aber auch eine Organisationsform haben, die diese Radikalität, die dann entsteht, auch umsetzen kann. Denn viel erzählen tun viele, aber es dann machen tun die allerwenigsten.“

Radikal tritt Reichert beispielsweise gegenüber Amazon auf: Der deutsche Mittelständler verkauft an den US-Giganten keine Schuhe mehr, weil Amazon aus Sicht Reicherts nicht entschieden genug gegen Produktfälschungen auf der eigenen Plattform vorgeht. „Amazon hat gerade gegenüber der US-Börsenaufsicht SEC eingeräumt, dass sie das Thema Produktfälschungen nicht in den Griff bekommen, weil sie logistisch dafür nicht aufgestellt sind“, so Reichert.

„Briefe schreiben bringt bei Amazon nichts“

Birkenstock habe zuerst die Zusammenarbeit mit Amazon in den USA beendet, dann auch im Rest der Welt. „Trotzdem finden sich noch unsere Schuhe auf Amazon. Das ist dann aber auf dem Marketplace und von Partnern, mit denen wir zusammenarbeiten und zu deren Strategie das dazugehört. Dagegen haben wir auch nichts“, so Reichert. „Es geht uns darum, dass nicht wir die Eigendynamik füttern, die Amazon als Vertriebsplattform mitbringt.“

Jedes Mal, wenn Birkenstock einen Verstoß feststelle, gehe das Unternehmen mit einer einstweiligen Verfügung dagegen vor. „Ich glaube, wir sind da schon im zweistelligen Bereich. Mit Briefe schreiben kommst Du bei Amazon nicht weiter“, so Reichert. Er rät auch anderen Unternehmen von einer Zusammenarbeit mit Amazon ab: „Diese Ergebenheit, sich gegen Unrecht nicht durchzusetzen, vielleicht weil man die nächsten Quartalszahlen präsentieren muss, die ist einfach dumm.“

Supreme? „Logos draufzukleben ist einfach zu wenig“

Eine weitere viel Entscheidung Reicherts, die viel Resonanz auslöste, war es, eine Anfrage des Streetwear-Labels Supreme (hier im ausführlichern OMR Porträt) nach einer möglichen Kollaboration mit Birkenstock abzusagen. Fast jede andere Marke dürfte sich nach einer solchen Möglichkeit die Finger lecken, schafft es Supreme doch, selbst Backsteine zum Sammlerobjekt zu erheben. Nicht so der Birkenstock CEO: „Da ging es nur darum, ein Logo draufzukleben, das ist einfach zu wenig“, so Reichert. „Wenn jemand keine Idee hat für einen Song, dann können wir auch nicht ihm musizieren.“

Dabei ist der Rheinländer Markenkooperationen gar nicht grundsätzlich abgeneigt. Zuletzt designte die Inhaberin des italienischen Boutique-Hotels Il Pellicano Birkenstock-Sondermodelle – Vogue berichtete. „Die haben einfach kreative Vorschläge gemacht“, so Reichert. „Die machen kleine, feine Dinge, und die Tochter des Hauses trägt seit 20 Jahren Birkenstock.“

„Entscheidungen treffen, die finanziell nicht schlau sind“

Auf der Bühne des OMR Festivals trägt Reichert ein ungewöhnliches Paar grauer Langhaar-Birkenstocks, die einer von mehreren Kollaborationen mit dem US-Designer Rick Owens entstammen. „Rick Owens ist genauso irre wie wir. Der hat eine eigene Fabrik in Italien, macht alles selber, gibt nichts aus der Hand, hat eigene Retail-Flächen und geht mit jeder neuen Kollektion wirtschaftlich all in“, so Reichert. „Der ist edgy, aber das tut uns als Marke auch gut.“

Anderen deutschen Mittelständlern, die in ihre Marke investieren möchten, rät Reichert: „Man muss viel radikaler sein. Viele Unternehmen sind zu P&L getrieben. Man muss manchmal Entscheidungen treffen, die finanziell nicht schlau sind. Um dann hinterher doppelt so viel Spaß zu haben.“

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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