Praktiker, Hertie & Co.: Wie Internet-Unternehmer alte Handelsmarken im Netz wiederbeleben

Martin Gardt21.11.2016

Affiliates und E-Commerce-Profis kaufen bekannte Marken und profitieren von deren Bekanntheit

Oschmann Kilz Praktiker
Dirk Oschmann (l.) und Christoph Kilz beleben Praktiker im Netz wieder

Es sind traditionsreiche und bekannte Handelsmarken, die irgendwann trotzdem pleite gegangen sind: Hertie, Praktiker, Schlecker und Quelle feiern online als E-Commerce- oder Affiliate-Player ein Comeback. Wir haben mit den neuen Machern darüber gesprochen, wie sie von den Namensrechten profitieren wollen und wie sie die neuen alten Unternehmen online vermarkten.

Alte Namen, neue Geschäftsmodelle und Besitzer: Die ehemalige Kaufhauskette Hertie lebt als Online-Shop mit Vollsortiment und eigenen Lagern weiter. Aus dem Billig-Baumarkt Praktiker ist eine Affiliate-Seite geworden. Bei Schlecker.de läuft ebenfalls ein Affiliate-Programm – aber nur zu zwei Partnern. Der Webauftritt von Quelle wird von einem ehemaligen Konkurrenten verwaltet und Plus steht zum zweiten Mal zum Verkauf. So unterschiedlich diese Ansätze und Geschichten auch sind, die neuen Betreiber verfolgen alle das gleiche Ziel: Mit einer bekannten Marke viel Traffic, Aufmerksamkeit und Umsatz zu generieren – statt mühsam eine neue aufzubauen.

Praktikers Wiedergeburt als Affiliate

Zumindest der Neustart klingt bei Praktiker.de ähnlich: Nachdem die Praktiker AG im Jahr 2013 insolvent gegangen war und alle Baumärkte schließen musste, kauften die Affiliates Christoph Kilz und Dirk Oschmann 2016 die Namensrechte aus der Insolvenzmasse und gründeten die Praktiker Trade GmbH & Co. KG. Dafür haben sie eine beachtliche Summen gezahlt: „Die reinen Namensrechte lagen für uns im sechsstelligen Bereich, aber damit ist es nicht getan. Allein die Übertragung und die anstehende Verlängerung der Marken kosten schon ordentlich fünfstellig. Insgesamt investieren wir eine siebenstellige Summe“, sagt Dirk Oschmann gegenüber Online Marketing Rockstars.

Praktiker Webseite

Die aktuelle Webseite von Praktiker.de

Die beiden gehen den Affiliate-Weg: „Wir listen Händler und werden kein eigenes Lager betreuen: Aktuell bieten wir einen Preisvergleich, demnächst dann einen vollwertigen Marktplatz für unsere Kunden“, so Oschmann. Wer derzeit Praktiker.de besucht, wird von einer Seite im Look des geistigen Vorgängers begrüßt. Das Logo wurde unverändert übernommen. Wie von Oschmann angedeutet, findet man derzeit dort einen Preisvergleich typischer Baumarkt-Produkte. Die Ergebnisse führen zu den ehemaligen Konkurrenten von Praktiker: vor allem Hagebau, Amazon, Otto, aber auch andere kleinere Marktplätze. Oschmann und Kilz verdienen wie andere Preisvergleiche (Idealo, Günstiger, etc.) Geld mit Provisionen, die von Online-Händlern gezahlt werden, wenn die Kunden über Praktiker.de zu ihnen gekommen sind.

Der Name bringt vierstellige Besucherzahlen pro Tag

Praktiker.de ist erst im August 2016 wieder so richtig an den Start gegangen, deshalb sind die Traffic-Zahlen bisher noch überschaubar. „Aktuell sind wir noch weit von unseren Zielen entfernt. Aber vierstellige Besucherzahlen am Tag waren schnell keine Ausnahme mehr“, sagt Oschmann. Laut Similar Web kommt Praktiker.de im Oktober 2016 auf insgesamt knapp 40.000 Visits. Das sind immerhin schon doppelt so viele wie noch im Vormonat. Praktiker.de werde laut Oschmann darüber hinaus noch nicht aktiv vermarktet, die meisten Besucher kämen über das große Interesse der Medien. In Zukunft soll Praktiker.de eine Plattform für Hersteller und Händler im Baumarkt-Geschäft werden. „Was man momentan online sieht, kann uns nicht zufrieden stellen. Aber hinter den Kulissen sind wir auf einem guten Weg. Manchmal fehlen uns noch die richtigen Kontakte und dies kostet Zeit“, sagt Oschmann. Er suche gerade händeringend einen Projektleiter mit Marktplatzerfahrung.

Dirk Oschmann betreibt aktuell nebenher die Webseiten Stromvergleich.de und Raumduftshop.de, sein Partner Christoph Kilz unter dem Dach Eisbär Media elf Webseiten. Das solle sich in Zukunft laut Oschmann aber ändern: „Wir beide haben uns eine Frist gesetzt, bis wann wir Vollzeit bei Praktiker.de sein werden und daher wird es sicher Veränderungen geben, z.B. durch Verkäufe oder Ausstieg aus dem operativen Geschäft.“

Hertie.de als legitimer Nachfolger des Traditions-Kaufhauses?

Sehr ambitioniert in das zweite Online-Leben ist Hertie.de gestartet. Die Osnabrücker Unternehmer Jan und Nils Klöker hatten die Namensrechte 2012 gekauft. Hertie hatte schon 2008 Insolvenz angemeldet und 2009 seine letzte Filiale geschlossen. „Nach den guten Erfahrungen mit dem Kauf gefühlter Marken wie telefon.de, headset.de und serviette.de drängte sich die Ausweitung der Sortimente unter einem gemeinsamen Markendach einfach auf“, sagt Jan Klöker zu Online Marketing Rockstars. Seit 1996 betreiben die Klöker-Brüder 21 Online-Shops, die seit 2012 unter der Dachmarke Hertie und der HDK AG (Hertie Deutsche Kaufhaus AG) zusammengefasst sind. Auf der Seite wird von Sofas über Unterwäsche bis hin zu Smartphones fast alles verkauft. Der Kauf der Namensrechte habe damals viel Geld gekostet: „Die Engländer würden sagen ‚a fortune'“, so Klöker.

Jan und Nils Klöker Hertie

Jan (l.) und Nils Klöker

Genaue Angaben zum Umsatz und monatlichen Bestellungen wolle er nicht machen. Hertie.de weist nach Schätzungen des Analyse-Tools Similar Web 265.000 Visits im Monat aus. Zum Vergleich: Quelle, eine andere Traditionsmarke unter neuer Führung (das Unternehmen gehört jetzt zum Otto-Konzern) erreicht pro Monat etwa 740.000 Visits. „Wir sind sehr zufrieden. Unsere an den Erwerb der Marke Hertie geknüpften Erwartungen wurden bei weitem übertroffen.“ Jan Klöker sieht Hertie.de sogar in der Tradition des ursprünglichen Firmengründers: „Wir wollen so, wie es einst der Gründer Oskar Tietz tat, ein Vollsortiment zu wettbewerbsfähigen Preisen anbieten.“

Hertie Webseite

Die aktuelle Webseite von Hertie

Bezahlung per Mark als Marketing-Gag

Marketingseitig bespielen die aktuellen Hertieinhaber nach eigener Aussage vor allem klassische Online-Marketing-Kanäle (wir lesen daraus: Banner), posten aber auch regelmäßig Geschenkideen bei Facebook (9.613 Fans). Außerdem ist dort auch das noch recht neue Shopping-Widget aktiviert. Das Widget erscheint auf der Facebook-Seite über den Beiträgen als festes Element mit der Überschrift „Shop“ und drei Produkten. Klicken die Nutzer darauf, werden die direkt zum Produkt auf der Hertie-Webseite geleitet und können hier kaufen.

Shopping-Widget Facebook Hertie

Das Shopping-Widget auf der Facebook-Seite von Hertie

Einen kleinen PR-Coup landete das Unternehmen vor drei Monaten, als es bekannt gab, wieder D-Mark-Zahlungen zu akzeptieren. Das hatten zuvor zwar auch schon Offline-Händler angekündigt, laut Klöker ist Hertie aber der erste Online-Shop, der die alte Währung wieder einführt. Entsprechend groß war das Medienecho mit Artikeln in der FAZ, Focus, Sat.1 und anderen. Kunden müssen für die Zahlung allerdings die Scheine per Post an Hertie schicken. Die Idee dürfte bei den Kunden der älteren Zielgruppe, die vielleicht auch mal aus Retro-Gründen bei Hertie einkaufen, gut ankommen. In Zukunft wolle Klöker aber besonders einen Bereich ausbauen: Mass Customization. Die Gravur von Bestecken oder Teppichen nach individuellem Auftrag der Kunden soll das Sortiment von Hertie abrunden. Passende Partner suche man bereits.

Was passiert mit Schlecker.de?

Die Drogeriekette Schlecker hatte ihren Online-Versandhandel nach der Insolvenz am 12. August 2012 eigentlich eingestellt. Unter Schlecker.de findet sich aber immer noch der Auftritt von Schlecker Home Shopping. Doch die Präsenz dient nur als Werbe- und Affiliate-Plattform für gerade einmal zwei Partner: CEWE (Fotobücher usw.) und „Lens2Lens“, einem Online-Händler für Kontaktlinsen und Brillen. Beide Partner präsentieren auf der Schlecker-Seite ihre Angebote, wer darauf klickt, landet in Partnershops, auf denen zwar noch Schlecker drauf steht, aber vor allem CEWE und Lens2Lens drinstecken.

Schlecker Webseite

Die aktuelle Webseite von Schlecker

Zuständig für das Angebot ist der Insolvenzverwalter der Schlecker Home Shopping GmbH Patrick Wahren. Er ist Partner bei der Kanzlei Schneider, Geiwitz & Partner, die sich um das Insolvenzverfahren des gesamten Schlecker-Konzerns kümmert. Wahren hat Uwe Blank als Geschäftsführer eingesetzt, der nicht auf Fragen von Online Marketing Rockstars reagiert hat. Große Sprünge sind aktuell mit Schlecker.de offenbar keine zu machen. Die Seite kommt im Monat laut Similar Web auf durchschnittlich knapp über 9.000 Visits – immerhin verzeichnete Schlecker.de im Oktober über 14.000 Visits und damit deutlich mehr als im Durchschnitt.

Vielleicht könnte Schlecker.de das nächste Projekt für einen cleveren Online Marketer sein. Die Seite kommt im Sichtbarkeitsindex von Sistrix auf einen Wert von über 0,7 und kommt auf immerhin knapp 2.000 Backlinks. Ein Affiliate müsste also nicht bei Null anfangen. Im Vergleich zu anderen Drogerieketten sind die Werte trotzdem weniger stark: Rossmann.de verzeichnet einen Sichtbarkeitsindex von 8,5 und über 21.000 Backlinks, dm.de hat einen Sichtbarkeitsindex von 19,3 und kommt auf über 46.000 Backlinks. Beim Suchwort Drogerie liegt dm an der Spitze, Schlecker taucht nicht in den Top-100-Suchergebnissen zu diesem Begriff auf.

Quelle unter Führung des ehemaligen großen Konkurrenten

Die beiden letzten Beispiele zeigen, wie es auch weitergehen kann: Unter neuer Führung mit alter Taktik. Das Versandhaus Quelle gehört mittlerweile dem ehemaligen Konkurrenten Otto und konzentriert sich auf seine Wurzeln. Nachdem die Otto Group die Namensrechte (mitsamt Kundendaten) vom insolventen Arcandor-Konzern (Nachfolger der KarstadtQuelle AG) gekauft hatte, startete Quelle 2011 zuerst als wenig erfolgreicher Marktplatz in Deutschland neu. Dieser verwies die Nutzer auf die verschiedenen Online-Shops der Otto Gruppe.

Wegen Misserfolgs wurde der Marktplatz 2013 wieder eingestellt und seitdem ist Quelle wieder Universalversandhändler. Geführt wird der Online-Shop von der österreichischen Otto-Tochter Unito, die auch für die Online-Shops von Quelle in Österreich und der Schweiz verantwortlich ist. Absolute Umsatzzahlen verkündet Unito für Quelle nicht. Im Geschäftsjahr 2015/2016 habe man die 100-Millionen-Umsatzmarke knacken wollen. Im letzten Geschäftsbericht von Otto heißt es nur knapp, dass Quelle 2015 seinen Umsatz im DACH-Raum im Vergleich zum Vorjahr um 20 Prozent steigern konnte. Laut Similar Web kommt quelle.de auf über 700.000 Visits pro Monat.

Plus hat doppelt mit Edeka zu tun

Anders als Quelle wurde der Discounter Plus nicht einfach verkauft. 2007 hatte Plus-Betreiber Tengelmann ein Gemeinschaftsunternehmen mit Edeka aus den Marken Plus und Netto (gehört zu Edeka) gebildet, an dem Tengelmann mit 20 Prozent und Edeka mit 80 Prozent beteiligt sind. Bis Juli 2010 wurden alle Plus-Märkte zu Netto-Discountern oder im Zuge des Kartellverfahrens an Rewe verkauft. Anders als die Märkte verschwand der Online-Shop von Plus nicht.

Schon 2001 hatte Tengelmann unter Plus.de einen Online-Ableger mit wechselnden Wochenangeboten aufgebaut. Während der Übernahmen der Plus-Filialen durch Edeka gründete Tengelmann die Plus Online GmbH, die Namen und Logo bis heute im Netz am Leben hält. Mittlerweile heißt die Gesellschaft Tengelmann E-Stores GmbH und könnte im Zuge des Kaiser’s Tengelmann-Deals doch noch an Edeka gehen.

Seit zwei Jahren arbeitet Edeka schließlich schon daran, Kaiser’s Tengelmann mit allen Tochterunternehmen zu kaufen. Bisher hatten sich vor allem Rewe und das Kartellamt gegen einen Deal ausgesprochen. Zuletzt kam es dann aber zwischen Edeka und Rewe zu einer Einigung, die Übernahme findet wohl statt. Und damit dürfte auch das Online-Angebot von Tengelmann inklusive Plus.de in das von Netto integriert werden – die Marke könnte dann den digitalen Tod sterben. Auch im Internet leben Handelsmarken also nicht ewig.

Vielen Dank an Andre Alpar für den Tipp!

Affiliate MarketingE-CommerceOtto
MG
Autor*In
Martin Gardt

Martin kümmert sich vor allem um neue Artikel für OMR.com und den Social-Media-Auftritt. Nach dem Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft ging er zur Axel Springer Akademie, der Journalistenschule des Axel Springer Verlags. Danach arbeitete er bei der COMPUTER BILD mit Fokus auf News aus der digitalen Welt und Start-ups. Am Wochenende findet Ihr ihn auf der Gegengerade im Millerntor.

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