Achtung Pleite: Wie es ein kleiner Entwickler mit nur einer Pressemitteilung an die Spitze des App Stores geschafft hat

So gelang Ulrich Keil ohne Marketingbudget ein Hit

reporter

Es als unabhängiger Entwickler an die Spitze der App Stores zu schaffen, ist heute deutlich schwieriger als früher. Denn die „App Economy“ hat sich professionalisiert und wird von den großen Internetkonzernen und spezialisierten Gaming-Publishern dominiert. Ulrich Keil hat es trotzdem geschafft, seine App „Achtung Pleite“ in Deutschland an den Dickschiffen vorbei auf dem ersten Platz zu bringen. Wie er Online Marketing Rockstars verraten hat, war dafür nur eine clevere Idee und eine Pressemitteilung nötig. Ramsen liegt im Pfälzerwald zwischen Kaiserslautern und Mannheim. Noch nicht einmal 2.000 Einwohner hat das kleine, verschlafene Örtchen. Und doch kommt von dort – und nicht aus Berlin oder Hamburg – eine der aktuell erfolgreichsten Apps Deutschlands: Mit „Achtung Pleite“ (zum Preis von 2,99 Euro verfügbar für iOS- und Android-Geräte) können die Nutzer nachsehen, welche Unternehmen und welche Privatpersonen in ihrer Nähe zahlungsunfähig sind. Die Nutzer müssen dafür lediglich eine Postleitzahl angeben und erhalten dann die entsprechenden Informationen übersichtlich auf einer Karte aufgelistet.

(Bild-Quelle: Achtung-Pleite.de)

(Bild-Quelle: Achtung-Pleite.de)

Nach Angaben der App-Betreiber stammen die Informationen in der App von den jeweiligen Insolvenzgerichten. Wie Macher Ulrich Keil gegenüber Online Marketing Rockstars bestätigte, greift die App die Daten von der Website Insolvenzbekanntmachungen.de ab. Zielgruppe der App sollen sowohl Gewerbetreibende als auch Privatpersonen sein. Unternehmen (wie etwa Handwerksbetriebe) sollen mit „Achtung Pleite“ bereits zahlungsunfähige Kunden abweisen, Privatnutzer beispielsweise die Seriosität eines Online-Shops überprüfen können. „Wir haben Handwerker im Freundeskreis, die uns berichtet haben, wie hoch ihre Außenstände sind – so sind wir auf die Idee für die App gekommen“, so Keil.

„Ist mein Nachbar pleite?“

Die Vermutung liegt nahe, dass „Achtung Pleite“ bei anderen Nutzern auch andere Bedürfnisse befriedigt –  Voyeurismus zum Beispiel („Habe ich einen Nachbarn, der pleite ist?“). Oder finanzielle Interessen: Nicht umsonst gibt es den Ausdruck Pleitegeier für Geschäftemacher, die die Insolvenzmasse von Unternehmen aufkaufen und teurer weiterverkaufen.

Die Entwicklung der App Store Rankings von „Achtung Pleite“ im deutschsprachigen iOS App Store (Quelle: App Annie)

So oder so stößt die App offensichtlich auf Interesse: Aktuell liegt „Achtung Pleite“ in Deutschland in Apples App Store unter den kostenpflichtigen Apps kategorieübergreifend auf Platz 16 und in der Kategorie Finanzen auf Platz 1; im Google Play Store rangiert die App übergreifend auf Platz 7 und auf Platz 1 in der Kategorie Finanzen. In den Wochen zuvor hatte „Achtung Pleite“ im iOS Store unter den kostenpflichtigen Apps für mehrere Tage auf Platz 1 gelegen, im Google Play Store mehrfach auf Platz 2.

Die Entwicklung der Rankings von „Achtung Pleite“ im Google Play Store (Quelle: App Annie)

Eigentlich ist die App ein Nebenprojekt: Ihr Entwickler Ulrich Keiler ist studierter Informatiker, war bereits für SAP und Ing-Diba tätig und hat an der Hochschule Mannheim Informatik gelehrt. Heute berät er mit seiner Firma eigenen Angaben zufolge DAX-Unternehmen in der Software-Entwicklung und in der Verarbeitung großer Datenmengen. „Achtung Pleite“ hat er gemeinsam mit vier Mitarbeitern nach Feierabend und am Wochenende programmiert; etwas mehr als ein halbes Jahr habe das gedauert.

Am 15. Juni war die App dann in beiden Stores erstmals verfügbar. Schon zum Start war sie dort in den jeweiligen Finanz-Kategorien relativ weit oben. „Wir haben zum Start in ein paar Handwerker-Gruppen Infos über die App gepostet“, sagt Keil. Gerade für solche lokalen Gewerbetreibende mit geringem Kapital dürfte es wichtig sein, dass sie von ihren Kunden Geld bekommen.

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Drei Lokalzeitungen sorgen für den Durchbruch

Viel wichtiger für den Erfolg war jedoch ein anderes Mittel, wie Keil erklärt: Pressearbeit. „Meine Frau ist Journalistin, die hat für uns eine Pressemitteilung vorbereitet, die wir dann zum Launch per E-Mail verschickt haben.“ Auch hier nimmt Keil kein Geld in die Hand: „Wir haben uns die Mühe gemacht, die Kontakte zu den Redaktionen selbst zusammenzutragen“ – statt die Pressemitteilung über einen Dienstleister verschicken zu lassen.

Die Entscheidung erweist sich als richtig: Am 4. Juli berichten gleich drei Zeitungen online und in Print über „Achtung Pleite“: der „Kölner Express“, die „Hamburger Morgenpost“ und die „Berliner Zeitung“. Alle drei gehören zur DuMont Mediengruppe. Am 5. Juli erreicht „Achtung Pleite“ daraufhin den ersten Platz in Apples App Store.

Die meisten Medien kopieren einfach die Pressemitteilung

„Wir haben die Pressemitteilung dann noch an andere Medien gesendet und weitere Mitteilungen nachgeschickt“, sagt Keil. „Das war dann schon sehr erfolgreich – auch beim Medienmix.“ So berichten in den kommenden Tagen nicht nur weitere Print-Medien, sondern auch das Fernsehen (RTL West und WDR) und Radiosender (Radio Regenbogen). Die Qualität der Pressemitteilung sei für diesen Erfolg mit entscheidend gewesen, so Keil. „Die meisten Artikel bestanden hauptsächlich aus kopierten Teilen der Pressemitteilung.“

Von da an entwickelt „Achtung Pleite“ eine Eigendynamik: Die Deutsche Presse Agentur schreibt ebenfalls über die App; so steigt noch einmal ihr Verbreitungsgrad, weil der Text von verschiedenen Medien verwendet wird. Weil sie nun im App Store ganz oben rangiert, wird auch in Berichten über „Die Top Apps der vergangenen Wochen“ auf Seiten wie T-Online und Bild.de über sie berichtet.

Zugegeben: Dieser Erfolg dürfte nicht für jeden Entwickler mit jeder x-beliebigen App wiederholbar sein: Denn „Achtung Pleite“ bietet Journalisten wegen der dahinter stehenden Idee eine gute Story: „So sehen sie, ob ihr Nachbar knapp bei Kasse ist“, titelten beispielsweise die DuMont-Zeitungen. Die App selber reizt damit nicht nur die Neugier („Das will ich auch ausprobieren!“), sondern sorgt auch für Kontroversen („Ist das rechtmäßig?“).

Trotzdem zeigt das Beispiel, welche Kraft gezielte, gute Pressearbeit bei der Nutzerakquisition für Mobile Apps entwickeln kann. Denn Downloads zu generieren ist für App-Entwickler heute sehr schwer geworden. „Früher haben Leute sich eine heruntergeladen, wenn sie davon gehört haben, einfach weil die App neu war. Heute muss man dafür viel Überzeugungsarbeit leisten, dem Nutzer die App mehrfach zeigen und ihm ihren Mehrwert verdeutlichen“, sagte Mobile-Experte Eric Seufert vor wenigen Wochen im Interview mit Online Marketing Rockstars. „Deswegen sind die Kosten und entsprechend auch die Budgets gestiegen.“ Professionelle App-Publisher investieren heute sehr hohe Beträge, um Nutzer und Downloads „einzukaufen“.

„Fast jeder Journalist hat ein iPhone“

„Es ist schwer, mit Paid Apps Geld zu verdienen. Wenn man pro Nutzer einen Euro investieren muss, rechnet sich das schon nicht mehr“, sagt Ulrich Keil dazu. Ihm ist es gelungen, komplett ohne Marketingausgaben erfolgreich zu sein. Er empfiehlt Entwicklern, gleich zum Launch mit ihrer App sowohl bei Apple als auch bei Google vertreten zu sein. „Die Zielgruppe unserer App dürfte zwar größtenteils Android-Geräte nutzen. Aber fast jeder Journalist hat ein iPhone – das haben wir gemerkt, als wir Promo-Codes verschickt haben.“

Trotz des Erfolges von „Achtung Pleite“ ist Keil ein wenig ernüchtert: „Wir haben bislang deutlich weniger verdient, als ich erwartet hätte.“ Konkrete Download-Zahlen möchte er nicht nennen. Die Schätzung, der mit der App erwirtschaftete Umsatz habe bislang im mittleren vierstelligen Bereich gelegen, kommentiert er: „Es war schon deutlich besser als vierstellig. Wir haben die Entwicklungskosten innerhalb kürzester Zeit wieder hereinbekommen.“

Ob Keil in Zukunft auch relevanten Gewinn erzielen kann, dürfte davon abhängen, ob das Interesse an der App nach dem ersten großen Presserummel anhält. In den vergangenen Tagen ist die App von den oberen Plätzen abgestiegen. „Ich glaube nicht, dass wir den Hype langfristig halten können“, so Keil. Aber es seien noch weitere, neue Funktionen geplant – sie sollen jedoch keine zusätzlichen Kosten verursachen. Die Handwerker, die Keil auf die Idee zur App gebracht hatten, nutzten die App bereits heute regelmäßig, so der Entwickler.

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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